Er wurde als grummelige, aber warmherzige Figur zu einer «Tatort»-Ikone. Und kandidierte für die Linken als Bundespräsident. Nun ist Peter Sodann 87-jährig gestorben.
Peter Sodann starb im Alter von 87 Jahren: Der Kabarettist, Schauspieler und Regisseur im Jahr 2013.
Gut zwei Jahre nach dem Fall der Mauer war Deutschland dann endgültig vereinigt. Also auch im Tatort-Kosmos, dem bundesrepublikanischen Seelenspiegel. Denn im Januar 1992 nahm Kriminalhauptkommissar Bruno Ehrlicher, Dienstort Dresden, seine Arbeit auf, und da erst war das neue Land komplett.
Nach Melancholikern (Kommissar Haferkamp), Systemsprengern (Kommissar Schimanski), frühen Vorkämpferinnen für Diversität (Kommissarin Buchmüller) der erste ostdeutsche Ermittler, verkörpert von der ostdeutschen Ikone Peter Sodann. Eine zugleich grummelige, aber doch auch irgendwie warmherzige Figur.
Also: eine Paradebesetzung für die damalige Übergangszeit der frühen Neunziger, in der das Publikum noch nicht wusste, wohin sich das vereinigte Land entwickeln würde. Sodann war nicht leicht auszurechnen, und er spielte mit dieser Aura: «Der Wessi redet mehr, als er weiss. Der Ossi sagt nicht alles, was er weiss.»
Dieser Ehrlicher war als schrulliger Mantelträger eine Art Geistesbruder des im Westen verehrten US-Kommissars Columbo. Und er war andererseits jemand, der die Angst der Ostdeutschen, von den Wessis über den Tisch gezogen zu werden, verstand und teilte. Ehrlicher durchblickte die kompliziertesten Situationen, und um das klarzumachen, reichte nur ein Moment, etwas Subtiles, ein Ausdruck in seinem Gesicht.
Wenn also in einem seiner 45 Fälle jemand einen Anstecker mit dem Aufdruck LIC auf dem Pullover trug und verriet, das Kürzel stehe für «Leipziger Immobilien Consulting» – dann zog Sodann die Augenbrauen kurz hoch, denn dann war nicht nur ihm klar, dass hier wieder mal ostdeutsche Heimat an den Westen verscherbelt werden würde. Jedenfalls, solange keiner darauf aufpasst.
Sodann wollte als Präsident dem Papst ins Gewissen reden
Aber er passte ja darauf auf. Sodann, 1936 in Meissen geboren, Werkzeugmacherlehre, Leiter eines Studentenkabaretts, kein bisschen linientreu. Wegen staatsfeindlicher Hetze inhaftiert, die Stasi hatte ihn immer im Blick. Ausbildung zum Spitzendreher im VEB-Starkstrom-Anlagenbau Leipzig, als Schauspieler engagiert unter anderem am Berliner Ensemble. 1981 gründete er in Halle das neue theater, die Arbeit dort wurde zur Lebensaufgabe, er leitete das Theater bis 2005, in dem Jahr wurde er Ehrenbürger von Halle.
Sodann – in der DDR 1986 mit dem Nationalpreis ausgezeichnet und 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz – war eine Schauspiel-Institution, seine Zeit als Fernsehkommissar war (künstlerisch) nur eine Fussnote in der Biografie, aber sie machte ihn populär, auch bei einem Publikum, das mit Theater nichts anfangen konnte.
Peter Sodann als Kommissar Jörg Ehrlicher (links) und Bernd Michael Lade als Kommissar Kain während einer Probe zum Tatort «Der Fluch des Bernsteinzimmers» im April 1999.
Popularität verschafft Möglichkeiten und birgt Risiken. Der Grossschauspieler Manfred Krug brachte seine als Tatort-Kommissar erworbene Glaubwürdigkeit ein, um die T-Aktie zu bewerben. Nachdem zahlreiche Kleinanleger Verluste gemacht hatten, entschuldigte Krug sich persönlich. Der Grossschauspieler Götz George musste sich aus dem Tatort-Schmuddelparka-Kostüm immer wieder auch befreien.
Und Peter Sodann liess sich 2008 von der Linkspartei als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl im darauffolgenden Jahr aufstellen und brachte alles mit allem in Berührung, den Menschen Sodann und den Ermittler Ehrlicher, der ja so heisst, weil er bei aller Schrulligkeit am Ende ehrlicher war als die meisten anderen. Wäre er Polizeikommissar von Deutschland, sagte in einem Interview der Bundespräsidentenkandidat Sodann, «würde ich Herrn Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, verhaften». Und weiter: «Dann würde man mich zwar rausschmeissen, aber ich hätte es wenigstens mal gemacht.»
Das Subtile war Sodann verloren gegangen
Das war eine Form von Klassenkampf, die – jedenfalls bei einem Kandidaten für ein so hohes Amt – auch als sonderbar wahrgenommen werden konnte und wurde. Sodann wollte als Präsident eine neue Nationalhymne einführen, er wollte dem Papst ins Gewissen reden, und zwar auf Sächsisch, manches wirkte wie die Karikatur einer Kandidatur, manches ganz handfest irritierend: «Ich halte das, was wir haben, ja nicht für eine Demokratie.»
Das Subtile, was seinen Kommissar ausgezeichnet hatte, war ihm irgendwie verloren gegangen. Und wer ihm damals, jedenfalls als Journalist, begegnete, spürte Verletzbarkeit und Trotz, gerade von den Medien fühlte er sich missverstanden. Schon früher hatten sie ihn Zonen-Columbo genannt, aber das war mehr eine Neckerei gewesen. Inzwischen wurden die Zeiten langsam härter.
Nach der Kandidatur wurde es ruhiger um Peter Sodann. Wenn er öffentlich auftrat, dann als Leiter der Peter-Sodann-Bibliothek im sächsischen Staucha, in der er – die nächste Lebensaufgabe – alle Bücher sammelte, die zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 2. Oktober 1990 im Osten Deutschlands erschienen waren.
Am Freitag ist Peter Sodann gestorben, er wurde 87 Jahre alt.
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