Olexandr Syrskyj: Wer ist der neue ukrainische Armeeführer?

Olexandr Syrskyj

In Olexandr Syrskyjs erster Rede als Oberkommandierender der ukrainischen Streitkräfte fällt ein Satz, der in Widerspruch zu seinem Ruf steht: „Leben und Gesundheit ihrer Soldaten sind der wichtigste Wert der ukrainischen Armee.“ In ukrainischen und amerikanischen Medien dagegen hieß es seit dem Sommer vorigen Jahres immer wieder, Syr­skyj gelte unter den Soldaten als Kommandeur, der bei seinen Operationen nicht viel Rücksicht auf menschliche Verluste nehme.

Dieses Ansehen verdankt er seiner Führung in der monatelangen Schlacht um Bachmut, in der nicht nur die russischen Angreifer, sondern auch die Ukrainer große Verluste erlitten haben. Westliche Militärs äußerten damals Zweifel am Sinn des letztlich vergeblichen Versuchs, die Kleinstadt um jeden Preis zu halten.

Er leitete die Verteidigung Kiews

Die öffentliche Einschätzung Syr­skyjs ist auch in anderen Fragen widersprüchlich. Der neue Oberkommandierende wurde 1965 im Gebiet Wladimir in Zentralrussland geboren und machte seinen ersten Abschluss an der Militärakademie in Moskau, bevor er Mitte der Achtzigerjahre Zugführer bei einer Einheit der sowjetischen Armee in der Ukraine wurde. Deshalb sehen manche ukrainische Beobachter in Syrskyj den am stärksten sowjetisch geprägten General in der ukrainischen Armee. Anderen gilt er als entschiedener Verfechter westlicher Führungsprinzipien, seit er 2013 im Generalstab für die Kontakte zur NATO zuständig war.

Keine Zweifel gibt es an den militärischen Erfolgen Syrskyjs: Er leitete die Verteidigung Kiews in den ersten Monaten der russischen Invasion und führte die beiden Offensiven, mit denen die ukrainische Armee im Sommer und Frühherbst 2022 die russischen Okkupanten aus dem Gebiet nördlich und östlich von Charkiw vertrieb. Wie die meisten hohen Offiziere der ukrainischen Armee ist der asketisch wirkende Syrskyj im Krieg, seit die russische Aggression gegen die Ukraine 2014 begann. An zahlreichen Kämpfen jener Jahre nahm er unmittelbar teil.

Im Sommer 2019 ernannte der damals gerade gewählte Präsident Wolodymyr Selenskyj Syrskyj zum Chef der ukrainischen Landstreitkräfte – in dieser Funktion war er zeitweise der Vorgesetzte Valerij Saluschnyjs, auf den er nun als Armeechef folgt. Die beiden Männer haben öffentlich beteuert, sie vertrauten einander vollkommen. Doch als sich die Gerüchte über Spannungen zwischen Selenskyj und Saluschnyj verdichteten, ging das mit Berichten einher, der Präsident kommuniziere am Oberkommandierenden vorbei direkt mit Syrskyj. Als er am Freitag seine Aufgaben beschrieb, klang das wie eine Wiederholung der Erwartungen an die neue Armeeführung, die Selenskyj am Donnerstag formuliert hatte.