Ungewöhnlicher Prozess um eine Vergewaltigung: „Sie war gar nicht mein Typ“ – Landgericht Berlin

ungewöhnlicher prozess um eine vergewaltigung: „sie war gar nicht mein typ“ – landgericht berlin

Berlin-Moabit: Das Kriminalgericht in der Turmstraße

Als die Staatsanwältin die Erkenntnisse von der Situation an der Bundesautobahn vorliest, von der Situation, als beide Männer zusammen allein mit der Frau sind und einer von ihnen sich gerade von ihr oral befriedigen lässt, beugt sich einer der mutmaßlichen Täter zu seinem Anwalt und zeigt auf ein Papier vor ihm, beide lachen. Es ist der unangenehmste Moment in einer ohnehin schon sehr unangenehmen Verlesung der Anklage am Montag in Raum 806 im obersten Stockwerk des Landgerichts Berlin-Moabit. Mit quälenden Details entblättert sich in der Anklage eine Nacht, die um 1 Uhr am Alexanderplatz begann und in den Morgenstunden damit endete, dass eine Frau weinend in ihr Hotel zurückkehrt.

Die beiden Angeklagten sollen am 12. September 2020, mitten in der Corona-Pandemie, vier Touristinnen auf dem Alexanderplatz angesprochen haben. Zwei von ihnen folgten dann der Einladung der Männer, sie zu einer Party in einer Russenkaserne in Brandenburg zu begleiten. Sie trafen sich nur zwei Stunden später am Bahnhof Spandau und wollten von dort zu einem illegalen Rave fahren. Eine der Personen soll auf dem Weg dorthin, so die Anklage, am Straßenrand in Spandau abgesetzt worden sein. Daraufhin trafen sich die Männer an einer Autobahnauffahrt und misshandelten die andere Frau sexuell. Später soll einer der beiden Angeklagten die Frau ein weiteres Mal im Auto vergewaltigt haben, auf dem Weg zwischen Berlin-Spandau und Wustermark.

Die Täter könnten unterschiedlicher nicht aussehen: Mohammed A., 29 Jahre, deutscher Staatsbürger, ist gekleidet wie zu einer Hochzeit – inklusive Anzug und weißem Schlips, er ist besser gekleidet als sein Anwalt, der in Jeans gekommen ist. Er schaut ernst auf den Bildschirm seines Laptops, während die Anklage verlesen wird; die Beine hat er überschlagen. Mohammed A. hat zwischen der mutmaßlichen Tat und dem ersten Prozesstag geheiratet. Der dicke Ring steckt am Finger seiner rechten Hand.

Sein Freund Imra K., 30 Jahre, türkischer Staatsbürger, wiederum sitzt ernst und in sich gekehrt neben ihm. Das weiße Hemd spannt über seinem Bauch, immer wieder greift er unter seine Brille, reibt sich die geröteten Augen während der Verlesung der Anklage. Er sei inzwischen ebenfalls in einer festen Beziehung und sei damals häufig auf Dating-Apps gewesen.

Derzeit sind sieben Verhandlungstage angesetzt, es sollen Zeugen aus jener Nacht gehört werden, die immerhin schon dreieinhalb Jahre zurückliegt. Die Geschädigte ist am Mittwoch nicht gekommen, sie soll aus dem Ruhrgebiet stammen, und mit ihren drei Freunden in Berlin nur zu Besuch gewesen sein. Sie übernachteten in einem Hotel am Alexanderplatz. In der kommenden Sitzung am 19. Februar sollen die Videos ihrer beiden Aussagen gezeigt werden, sodass sich die Geschädigte nicht noch einmal ausführlich vor Gericht äußern muss.

Aus der Anklageschrift ergibt sich zunächst, dass sie sowohl mehrfach geäußert habe, dass sie keinen Geschlechtsverkehr mit den beiden Angeklagten wünsche, diese das aber ignoriert haben. Sie habe ebenso geweint. Sie haben ihr zudem mit „empfindlichem Übel gedroht“, heißt es wörtlich. Zudem befand sie sich die meiste Zeit allein mit einem oder beiden mutmaßlichen Tätern, meist in einer ihr unbekannten Gegend außerhalb Spandaus. Mohammed A. habe demnach gesagt: „Ja komm schon, hab dich nicht so.“ Als Imra K. zur Autobahnauffahrt dazustößt, sie beim Oralverkehr überrascht, habe er gesagt: „Mach weiter, das ist bei uns normal.

Tatsächlich, so erfahren die Richter bei Nachfragen, sei es schon früher zu einer Situation gekommen. Doch allein nach dem Prozesstag am Mittwoch wird deutlich, dass viele Fragen noch offen bleiben werden.

Die Version der beiden Beschuldigten widerspricht der Anklage in fast allen Punkten. Und jetzt wird es kompliziert: Imra K. behauptet, dass er die zweite Person, offenbar eine Transfrau mit dem Rufnamen Kiki, abgesetzt habe, um kurz bei sich zu Hause eine Flasche Wodka zu holen und auf die Toilette zu gehen. Er wollte Kiki nicht in seinem Auto lassen, weil er nicht wollte, dass Nachbarn sehen, dass er mit homosexuellen oder Trans-Menschen verkehre. Als er zurück zum Treffpunkt kam, sei Kiki verschwunden gewesen. Dann fuhr er zur Party und traf zwischendurch auf der Autobahnauffahrt auf seinen Freund Mohammed A.

Der wiederum erzählt in seiner Version von jener Nacht, dass er den Stopp nur eingelegt habe, um seiner Beifahrerin einen Gefallen zu tun. Ihr sei offenbar kalt gewesen. Er spricht in seiner Einlassung immer von „den Damen“, auch wenn er Kiki damals als schwulen Mann gelesen habe. Er sagt, dass er der Geschädigten mit der Hand die Haare aus dem Gesicht gestrichen habe. Er habe keine Gewalt angewendet. Für ihn sei es schwierig gewesen, erregt zu sein, sagt Mohammed A. Die Kälte, die anderen vorbeifahrenden Autos, sein Freund, der dann zuschaute. „Außerdem war sie nicht mein Typ“, sagt er vor Gericht.

Die Zahl der Vergewaltigungen gingen zuletzt in Berlin leicht zurück, zwischen 2020 und 2021 wurden allerdings knapp 1700 Fälle mehr registriert als in den Jahren davor. Im Jahr 2022 wurden 6782 Fälle gezählt. Nicht einmal jede 15. Tat wird bei der Polizei angezeigt, das belegen kriminologische Studien, berichtet der Weiße Ring. Bis zum 21. September 2023 wurden 5712 Sexualdelikte ermittelt. Vergewaltigungen machen einen großen Teil der gemeldeten Sexualstraftaten aus, doch auch folgende Taten gehören dazu: exhibitionistische Handlungen, sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe oder sexuelle Nötigung.

Erst in Imra K.s Auto sei es dann zum Oralverkehr gekommen. Doch habe Mohammed A. das Gefühl gehabt, dass die Geschädigte das selbst wollte. „Sie fasste mir in den Schritt“, sagt er, „streichelte mein Gesicht.“ Er betont das Wort „selbstständig“ als er beschreibt, wie sie ihm die Hose geöffnet habe. Dass sein Freund in der Kälte in der Nähe stand, als sie im Auto Sex hatte, habe ihn nicht gestört. Kiki hatten die Männer zu diesem Zeitpunkt bei dem Rave vermutet. Die vielen Anrufe von Kiki habe Imra nicht bemerkt, sagt er.

Sie machten sich dann auf den Weg zu dem Rave, der allerdings schon von der Polizei aufgelöst worden war. Als sie dann auf dem Rückweg waren, soll Imra K. mit der Geschädigten Oral- und Vaginalverkehr im Auto gehabt haben, geschützt durch ein Kondom. Dieser soll jedoch nach seiner Darstellung einvernehmlich gewesen sein. Im Raum stand, dass er sie danach zum Hotel an den Alexanderplatz fahren werde. Das wiederum habe dann Mohammed A. übernommen, ihm gegenüber äußerte sich die Geschädigte auf der Rückfahrt morgens um 7 Uhr auch weinend.

Die Vorsitzende Richterin wollte es an dieser Stelle genau wissen: Was genau war der Vorwurf, den die Geschädigte Mohammed gegenüber äußerte? War da schon ein Thema, dass eine Heimfahrt für sie als Gegenleistung im Raum stand? Doch Mohammed A. sagt: Er habe ihr die Behauptung schon damals nicht geglaubt. „Aber wenn eine Dame vor mir weint, dann versuche ich, ihr zu helfen.“ Das Verfahren wird am 19. Februar fortgesetzt.

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