Verantwortungsgemeinschaft: Vorschlag von Justizminister Marco Buschmann stößt auf Kritik

Justizminister Marco Buschmann will Menschen auch abseits der Ehe rechtlich Verantwortung füreinander übernehmen lassen. Unter Juristen sorgt die Idee für Unverständnis. Was progressiv daherkomme, ließe sich schon jetzt anwenden.

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Verantwortungsgemeinschaft: Vorschlag von Justizminister Marco Buschmann stößt auf Kritik

Im Krankenhaus Auskunft bekommen, eine Zugewinngemeinschaft bilden und im Pflegefall finanzielle Unterstützung beanspruchen: Das soll ab 2025 für Menschen in einer sogenannten Verantwortungsgemeinschaft möglich sein. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat am vergangenen Montag ein entsprechendes Eckpunktepapier vorgelegt. Unter Juristenverbänden stoßen seine Vorschläge jedoch auf Kritik.

So bemängelt unter anderem der Deutsche Juristinnenbund, dass eine solche Alternative zur Ehe in Deutschland nicht nötig sei. »Verträge oder Vollmachten können die Konstellationen aus dem Papier schon jetzt abdecken«, sagte Anna Lena Göttsche, Vorsitzende der Kommission für Familien-, Erb- und Zivilrecht. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass sich bis zu sechs volljährige Personen über einen notariell beurkundeten Vertrag zu einer Gemeinschaft zusammenschließen können.

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Geringes Interesse erwartet

So soll ermöglicht werden, dass Menschen auch abseits von Liebesbeziehungen rechtlich füreinander einstehen können. Die Partner einer Verantwortungsgemeinschaft sollen beispielsweise in gesundheitlichen Notsituationen Auskunft erhalten oder Entscheidungen über die weitere Behandlung treffen dürfen. Wird der Vertrag nur zwischen zwei Personen geschlossen, können sie zudem eine Zugewinngemeinschaft bilden.

Laut Göttsche ließen sich viele dieser Punkte auch über Vollmachten oder eine Patientenverfügung regeln. »Wir haben das Recht, wir müssen es nur anwenden oder umgestalten«, so die Professorin für Familienrecht. Auch der Deutsche Anwaltverein erwarte ein »geringes Interesse« an der neuen Regelung – unter anderem, weil mit der notariellen Beurkundung Kosten verbunden seien. Eva Becker, Vorsitzende des Ausschusses für Familienrecht, spricht von einem Rechtsinstrument, »das die Betroffenen in seinen Verästelungen überfordern dürfte.«

Die Verbände befürchten zudem Nachteile für Personen, die über lange Zeit unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt oder in der Kinderbetreuung übernehmen. Anders als eine Ehe könne die Verantwortungsgemeinschaft einseitig aufgelöst werden, ohne dass eine solche Arbeitsteilung, beispielsweise durch Unterhaltszahlungen, ausgeglichen werde. Auch die Beziehung der Partner zueinander lasse sich nur schwer nachvollziehen.

Das Eckpunktepapier sieht vor, dass zwischen den Mitgliedern einer Verantwortungsgemeinschaft ein »tatsächliches persönliches Näheverhältnis« besteht. »Mir ist unklar, wie das kontrolliert werden soll«, sagt Anna Lena Göttsche. Das berge wiederum die Gefahr, dass Familienmodelle ermöglicht werden, die einer Ehe mit mehreren Personen ähneln. Denn auch Menschen, die bereits verheiratet sind, sollen mit anderen eine Verantwortungsgemeinschaft eingehen können.

Vorbild Frankreich

In Frankreich gibt es bereits seit 1999 die Möglichkeit, sich abseits der Ehe rechtlich zu binden. Der »pacte civile de solidarité«, kurz PACS, wurde ursprünglich als Alternative für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Die Partner verpflichten sich dazu, einander zu unterstützen – wie genau diese Unterstützung aussieht, steht ihnen offen. Anders als im deutschen Modell werden sie gemeinsam besteuert. Seit Frankreich 2013 die Ehe für alle einführte, werden 96 Prozent der PACS-Verträge von heterosexuellen Paaren geschlossen. Für Anna Lena Göttsche ergibt das Modell dadurch nur noch wenig Sinn: »Aus gleichstellungspolitischer Sicht sehe ich im PACS keine Vorteile.«

Dasselbe gilt für sie für die Verantwortungsgemeinschaft. Queeren Familien helfe der Vorschlag des Justizministers nicht. Denn: Das Eltern-Kind-Verhältnis bleibt laut Eckpunktepapier unberührt. Eine Frau, deren Partnerin ein Kind bekommen, gilt also nicht automatisch als Elternteil – selbst, wenn das Paar in einer Verantwortungsgemeinschaft lebt. Stattdessen muss sie das gemeinsame Kind adoptieren. Damit sich das ändert, bräuchte es eine Neuregelung des Abstammungsrechts. Auch dazu hat Justizminister Buschmann bereits ein Eckpunktepapier vorgelegt. Für den Deutschen Juristinnenbund ist das aktuell die drängendere Reform.

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