Deutschland und der Nahost-Krieg: „Wir sind nicht immer mit allem einverstanden, was Israel in Gaza macht“

Durch das Land geht ein Riss. Umso mehr brauchen wir die, die trotz widriger Umstände miteinander reden, Solidarität bekunden und friedlich zusammenleben wollen.

deutschland und der nahost-krieg: „wir sind nicht immer mit allem einverstanden, was israel in gaza macht“

Kundgebung für Israel am Brandenburger Tor.

Als Studentin durfte ich jüdische Bürgerinnen und Bürger in Hamburg begleiten. Einige darunter waren zum ersten Mal nach langer Zeit wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, nachdem sie damals aus Hamburg vor den Gräueltaten der Nazis fliehen mussten. Ihre Geschichten und Erinnerungen hatten viele Berührungspunkte zu meinem eigenen Leben.

Als Anfang der Neunzigerjahre in Solingen und Mölln die Häuser brannten, stellte sich damals eine Gruppe aus New York um mich herum und versicherte mir ihre Solidarität.

Mir, die damals fassungslos die Geschehnisse verfolgte, wurde dadurch das Gefühl vermittelt: Du bist nicht allein. Es ist diese Verbundenheit, die in diesen Tagen schwer erreichbar scheint, die wir alle aber dringend brauchen.

Ein tiefer Riss droht durch unser Land zu gehen. Viel Frustration auf allen Seiten, tief verletzt und verständnislos ziehen sich mehr und mehr Menschen zurück. Die einen – Jüdinnen und Juden – verstehen nicht, warum die Solidarität ihnen gegenüber nach dem Massaker vom 7. Oktober in Deutschland nicht noch deutlicher gezeigt wird. Warum so viele auf den Straßen gegen Israel demonstrieren und der deutsche Staat sie gewähren lässt.

Andere beklagen, dass unschuldige Menschen in Gaza bombardiert werden: Freunde, Verwandte, tausende Frauen, Kinder und auch Männer, die nichts mit den furchtbaren Massakern in Israel zu tun haben. Manche sagen, dass in Gaza die Hamas überall unterkomme und dort alle irgendwie dazugehörten.

Wiederum andere beklagen, dass sie für die Gräueltaten der Nazis im Zweiten Weltkrieg herhalten müssten und Deutschland weder vermitteln könne noch wolle und sehr einseitig Stellung beziehe. Und mancherorts sogar eines der wichtigen Grundrechte einschränke, nämlich, gegen diesen Krieg zu demonstrieren.

Selbstbewusst Verantwortung übernehmen

Was leider viel zu wenig Beachtung findet, ist, dass die Linien nicht ausschließlich und immer zwischen Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens verlaufen. Viele von beiden Seiten finden in diesen Tagen zusammen. Sie stellen fest, dass auch Jüdinnen und Juden, die die Vorgehensweise der israelischen Regierung kritisieren, kaum öffentliche Beachtung erhalten. Und andere sagen, dass sie lieber nichts sagen, weil sie als Antisemiten abgestempelt würden.

Wenn ,Nie wieder ist jetzt’ ernst gemeint ist, dann müssen wir gemeinsam Antworten finden auf ein friedliches Leben für Israelis und Palästinenser, auch hier in Deutschland.

Aydan Özoguz (SPD), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags

Dass Imame auf der anderen Seite in Hamburg nach dem Massaker in Synagogen ihre Solidarität mit den jüdischen Opfern ausdrückten, haben die wenigsten mitbekommen. Und das ist kein Einzelfall. Wir brauchen die, die sich trauen, die trotz widriger Umstände miteinander reden und sich streiten, aber letztlich auch Solidarität miteinander bekunden und friedlich zusammenleben wollen.

Die deutlich sagen: Wir verurteilen Terror und Terrororganisationen, wir stehen an der Seite des Staates Israel als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden weltweit. Wir verurteilen gleichzeitig jeden Generalverdacht und sind nicht immer mit allem einverstanden, was die israelische Regierung in Gaza oder dem Westjordanland macht. Das hieße für mich, selbstbewusst Verantwortung zu übernehmen.

Vieles, was wir derzeit auf unseren Straßen und in Gesprächen erleben, ist unweigerlich mit den Geschehnissen in Israel, in Gaza und dem Westjordanland verknüpft. Es bleibt zu hoffen, dass die vielen Menschen und Organisationen wieder lauter werden, die an ein Zusammenleben glauben und sich dafür einsetzen wollen.

Auf die Frage, was eigentlich am Ende dieses Krieges steht, herrscht derzeit viel Stille. Kaum jemand vermag sich auszumalen, wie Gaza und das Westjordanland aussehen werden und, wer radikale Siedler von ihrer Vertreibungspolitik abhalten wird und kann.

Wenn es zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommen sollte, bleibt offen, wer die palästinensische Seite so regieren kann, dass der Terror dort aufhört und ein vernünftiger Staat überhaupt entstehen kann. Wenn „Nie wieder ist jetzt“ ernst gemeint ist, dann müssen wir gemeinsam Antworten finden auf ein friedliches Leben für Israelis und Palästinenser, auch hier in Deutschland.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World