ARCHIV – 09.01.2024, Irak, Bagdad: Mohammed Shia al-Sudani, Premierminister von Irak, nimmt an einer data-portal-copyright=
Der irakische Premier reist erstmals zu einem offiziellen Besuch nach Washington. Öffentlich drängt er auf einen Abzug der US-Truppen aus seinem Land. Doch wie wahrscheinlich ist ihr Rückzug?
Washington/Bagdad (dpa) – An deutlichen Worten aus Bagdad gegenüber der US-Regierung in Washington mangelte es zuletzt nicht. Öffentlich forderte der irakische Ministerpräsident Mohammed al-Sudani in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt den Abzug der verbliebenen rund 2400 US-Soldaten aus seinem Land. Die im Irak und Syrien von den USA angeführte Militärkoalition gegen den Islamischen Staat (IS) sei nicht länger notwendig, die Terrororganisation besiegt, sagte Al-Sudani beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Nun reist Al-Sudani nach Washington. Am Montag empfängt US-Präsident Joe Biden den Iraker zu Gesprächen im Weißen Haus. Es ist der erste offizielle Besuch Al-Sudanis, der 2022 an die Spitze seiner Regierung rückte und dabei breite Unterstützung proiranischer Gruppen erhielt, bei der US-Regierung. Eine Regierungsvertreterin in Washington sagte vor den Gesprächen, es gebe eine ganze Reihe von Themen zu besprechen, und die Frage nach der US-Militärpräsenz im Irak werde voraussichtlich einen wichtigen Part einnehmen.
Das Treffen findet unter heiklen Bedingungen statt. Die Lage in Nahost ist extrem angespannt. Die Sorge vor einem Vergeltungsschlag des Iran nach dem mutmaßlich israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus ist groß. Auch die in der Region stationierten US-Truppen geraten dabei als potenzielle Angriffsziele wieder in den Fokus.
Al-Sudani: „Inakzeptable Verletzung der irakischen Souveränität“
Bereits seit Beginn des Gaza-Krieges wurden die von den USA genutzten Stellungen, oft kleine Stützpunkte im Wüstengebiet, verstärkt Ziel von Attacken proiranischer Milizen. Als wichtigster Verbündeter Israels wurden die USA für den Iran und seine Stellvertreter noch mehr zum Feindbild als zuvor. Im Gegenzug griff das US-Militär die Standorte der Gruppierungen im Irak an. Die irakische Führung unter Al-Sudani bemängelte, dass das Vorgehen der Amerikaner nicht mit der irakischen Führung abgesprochen worden sei, und bezeichnete es als eine „inakzeptable Verletzung der irakischen Souveränität“.
Offizielles Mandat der US-Truppen im Irak und Syrien ist die Unterstützung der irakischen Regierung im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Beobachtern zufolge geht es den USA aber vor allem darum, mit ihrer Truppenpräsenz in der Region den Einfluss ihres Erzfeindes Iran zu begrenzen. Sie sind überzeugt, dass der Einsatz eigentlich dazu dient, die Versorgungslinien für den Iran zu unterbrechen und die Milizen in der Region abzuschrecken.
Trotz des großen Risikos, dem die US-Truppen in der Region ausgesetzt sind, dürfte Biden deshalb wohl kein ernsthaftes Interesse daran haben, seine Leute zum jetzigen Zeitpunkt zurückzuholen. Durch einen Abzug der Truppen aus dem Irak würde ein „Vakuum“ entstehen, das die irakischen Sicherheitskräfte, die Polizei und das Militär nicht ausgleichen könnten, sagt Nahost-Experte Benjamin Radd von der University of California. Dies berge die Gefahr, dass proiranische Gruppen, Überbleibsel des IS und andere Gruppierungen den Irak als Operationsbasis für Angriffe gegen die USA und ihre Verbündeten nutzen könnten.
Nahost-Experte Radd: Unwahrscheinlich, dass Biden öffentlich Zeitpunkt für Rückzug erklärt
Und auch wenn die irakische Führung öffentlich einen Abzug der Truppen fordere, dürfte es eigentlich im Interesse Bagdads sein, wenn die US-Militärpräsenz vorerst erhalten bleibe, meint Radd. Al-Sudani müsse nach außen zwar die Position für einen Abzug vertreten, um sein „Gesicht zu wahren“ und zu zeigen, dass die irakische Führung unabhängig von den USA agiere. Innerhalb der irakischen Regierung gebe es aber durchaus die Auffassung, dass der Irak von der US-Militärpräsenz als „Sicherheitsschirm“ profitiere. Schließlich sehe es auch für den Irak nicht gut aus, wenn nicht staatliche Akteure von irakischem Boden aus Angriffe planten und durchführten.
Mit Blick auf den Besuch al-Sudanis in Washington sagt Radd, er halte es für unwahrscheinlich, dass der Demokrat Biden öffentlich erklären werde, die US-Truppen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Irak zurückzuziehen. Sie dort zu lassen, sei zwar angesichts der fragilen Lage in der Region mit einem Risiko verbunden, aber es sei ein „kalkuliertes Risiko“, sagt Radd.
Auch andere Experten kommen zu dem Schluss, dass die US-Regierung ihre Strategie mit Blick auf ihre Militärpräsenz im Irak und Syrien wohl erst einmal beibehalten dürfte. Im Irak selbst gebe es viele Unterstützer für die US-Truppen im Land, sagt Riad Kahwaji, Direktor des „Institute for Near East and Gulf Military Analysis“ (INEGMA). Viele Gruppen im Land, darunter vor allem auch die kurdische Bevölkerung, seien völlig gegen einen solchen Abzug. „Sie wollen nicht unter die Kontrolle des Irans gelangen“, sagt der Analyst. Die proiranischen Milizen hätten eine vom Iran gesteuerte Agenda, die die innere Sicherheit des Iraks stark gefährden könnte.
Die Zukunft der US-Truppen im Irak und im Nahen Osten generell hängt zum einen davon ab, was der Iran als Nächstes tut. Es bleibt abzuwarten, wie die angekündigte Vergeltung aussieht. Davon hängt letztlich auch ab, wie tief der Irak in den Konflikt hineingezogen wird.
Aber noch eine andere Variable spielt eine Rolle: Auch ein Machtwechsel in Washington könnte die Verhältnisse ändern. Im November dieses Jahres stehen in den USA Präsidentenwahlen an. Sollte der Republikaner und Ex-Präsident Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen, könnte dies auch Auswirkungen auf die US-Truppenpräsenz in der Region haben. „Sollte Trump wiedergewählt werden, würde es mich nicht überraschen, wenn die US-Streitkräfte dort möglicherweise verkleinert werden“, sagt Radd.
Zwar gebe es unter den traditionellen republikanischen US-Regierungen eine starke Unterstützung für die amerikanischen Streitkräfte in verschiedenen Teilen der Welt. Doch unter den Trump-Anhängern gebe es viele Isolationisten, die glaubten, dass weniger Einmischung besser sei. Die könnten im Parlament auf eine Verkleinerung der Militärpräsenz drängen. Trump selbst hatte schon im Jahr 2020 von einem Abzug aus dem Irak und Afghanistan gesprochen. Doch die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass die Politik des Republikaners von Unberechenbarkeit geprägt ist.
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