Das Aktuelle Buch: Was ein Kenner über die Probleme der Landwirtschaft sagt

das aktuelle buch: was ein kenner über die probleme der landwirtschaft sagt

Deutliche Botschaften: Bauernprotest am Montag in Wiesbaden

Warum protestieren die Landwirte? Sind ihre Forderungen berechtigt? Wer sich für differenzierte Antworten auf diese Fragen interessiert, kann zu einem Buch greifen, das ein intimster Kenner der Materie kürzlich vorgelegt hat: Hermann Onko Aeikens stammt aus einer ostfriesischen Bauernfamilie, ist promovierter Agrarwissenschaftler und kennt sämtliche Facetten deutscher und europäischer Agrarpolitik. Aeikens war nach der Wiedervereinigung zunächst Abteilungsleiter, dann Staatssekretär und später Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und wirkte bis 2019 als Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium.

Sein Ansehen in der Agrarszene beruht darauf, dass er nicht zu den Landwirtschaftspolitikern von CDU und CSU zählte, die sich als politischer Arm der Agrarverbände begreifen. Diese Haltung zeichnet auch sein Buch aus: Aeikens blickt zwar mit Sympathie auf die Landwirtschaft. Aber er verliert dabei seine analytische Distanz nicht.

Landwirte fühlen sich gegängelt

Die Besonderheit der Agrarpolitik besteht für Aeikens zunächst darin, dass dort viel Steuergeld in einen vergleichsweise kleinen Wirtschaftszweig fließt, in dem 1,3 Prozent aller Beschäftigten etwa 0,7 Prozent des BIP erwirtschaften. Zugleich fließen aber 40 Prozent des EU-Budgets in den Agrarsektor. Der Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums lag 2022 bei 7,1 Milliarden Euro, das ist deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Die Finanzströme von EU, Bund und Ländern sind so unübersichtlich, dass auch Aeikens sie nicht auf eine griffige Gesamtzahl bringen kann. Die Darlegung einer kritischen NGO, dass allein 13,2 Milliarden Euro Steuergeld in die deutsche Viehwirtschaft fließen, hält Aeikens indes für plausibel.

Zu einer größeren Zufriedenheit der Landwirte habe all das Geld jedoch nicht geführt, bilanziert Aeikens. Die Landwirte fühlen sich von der Politik gegängelt. Auch die Existenz eigener Ministerien, die es sonst für keine andere Branche gibt, wird nicht als Ausdruck besonderer Wertschätzung empfunden. Aeikens legt dar, dass die relevanten Entscheidungen für die Landwirte entweder auf dem Weltmarkt oder in Brüssel fallen. Die Bundespolitik und noch stärker die Landespolitik fallen kaum ins Gewicht. Sie gleichen nicht selten einer Politiksimulation, die alles noch verkompliziert. Aeikens rät deshalb dazu, den Dschungel der Förderprogramme mitsamt ihrer Mitnahmeeffekte zu lichten und das vorhandene Geld so bürokratieärmer zu verteilen.

Viele Vorschläge nicht zu finanzieren

Im Streit über die neuen Düngeregeln, die maßgeblich zur Radikalisierung der Bauernproteste beigetragen haben, positioniert Aeikens sich klar: Die EU dringe zu Recht auf eine geringere Nitratbelastung der Gewässer. Die deutsche Strategie, beim Dünger „über Jahrzehnte auf Aussitzen der Probleme und Verzögern“ zu setzen, sei insbesondere für CDU und CSU „kein Ruhmesblatt“ gewesen. Aeikens rät seiner Partei ebenso wie den Agrar­verbänden, wissenschaftliche Erkenntnisse künftig ernster zu nehmen. Gleiches fordert Aeikens aber auch von den Grünen mit Blick auf deren Ablehnung der Genschere CRISPR/Cas.

Auch das Ziel der Ampelkoalition, 30 Prozent der Agrarflächen bis 2030 ökologisch zu bewirtschaften, hält Aeikens nicht für seriös. Er empfiehlt, gerade weil er die ökologischen Folgekosten der gegenwärtigen Landwirtschaft anerkennt, eine andere Strategie: Es gehe vor allem darum, die konventionelle Landwirtschaft ökologischer zu gestalten. Agrarroboter könnten dabei eine Hilfe sein. Die Bauern müssten aber auch akzeptieren, dass staatliche Zahlungen künftig noch stärker an Nachhaltigkeitsauflagen gebunden werden und dies auch ordnungsrechtlich überwacht werde. Zudem sei eine maßvolle Verringerung der Tierbestände angezeigt.

In das verbreitete Lob für die Vorschläge der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ sowie der „Borchert-Kommission“ mag Aeikens nicht einstimmen. Ihre Vorschläge seien zwar sachlich richtig, und sie hätten das Verdienst, dass sich alle Akteure endlich auf Anerkennung wissenschaftlicher Fakten verständigt hätten. Die milliardenteuren Vorschläge seien jedoch nicht zu finanzieren und bissen sich auch mit den beiden Grundtatsachen der Agrarpolitik: dem EU-Recht und dem Weltmarkt.

Billige Lebensmittel in teuren Küchen

Aeikens empfiehlt stattdessen, das Geld anders zu verteilen. Das bestehende Subventionsregime begünstige weiter die großen Betriebe. Die Bildung undurchsichtiger Agrarholdings, hinter denen nicht selten reiche Familien stecken, bringt Aeikens auch mit Privilegien bei Grunderwerb und Erbschaften in Verbindung, die eigentlich für viel kleinere Betriebe gedacht waren. Nun stärken sie die Marktposition ihrer Gegenspieler. Auch dem Bauernverband und den Genossenschaften der Landwirte hält Aeikens eine Vernachlässigung der kleinen und mittleren Betriebe vor. Das Erstarken neuer Bewegungen wie „Land schafft Verbindung“, deren Wissenschaftsferne und Radikalisierungspotential Aeikens klar benennt, sei nicht zuletzt eine Reaktion auf solche Entwicklungen.

So enthält dieses Buch Erkenntnisse für jeden Leser. Von den deutschen Verbrauchern, bei denen Aeikens beobachtet, dass sie gerne billige Lebensmittel in zunehmend teuren Küchen verarbeiten, bis hin zu manchem Landwirt, dem eine objektivere Aufklärung über die eigene Lage vielleicht guttäte. Ein Tag an der Autobahnauffahrt sollte ausreichen, um das schmale Buch in der warmen Kabine des eigenen Treckers zu bewältigen.

Hermann Onko Aeikens „Unsere Landwirtschaft besser verstehen. Was wir alle wissen sollten“. Mitteldeutscher Verlag, 276 Seiten,24 €.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World