Thierry Henry: Führungskräfte brauchen eine andere Fehlerkultur

Einen guten Umgang mit Fehlern wünschen sich alle. Doch wir kommen aus einer Kultur, die Fehlervermeidung belohnt. Was die Chefetage besser machen kann, zeigt das Beispiel des ehemaligen französischen Fußballspielers Thierry Henry.

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Thierry Henry: Führungskräfte brauchen eine andere Fehlerkultur

Positive Veränderungen brauchen eine positive Fehlerkultur. Das gilt besonders in der heutigen Zeit, in der der Ausnahmezustand längst zum Dauerzustand geworden ist. Nicht das Perfektionieren von Abläufen und Minimieren von Fehlern bringt künftig den Erfolg. Sondern der Mut zum Experimentieren und das Tempo, mit dem man aus Fehlern lernt. Das gelingt nur mit einer Kultur, in der Probleme offen auf den Tisch kommen.

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Doch ausgerechnet in der Chefetage tut man sich mit dem nötigen Umdenken oft schwer. Statt die Chancen einer aktiven Lernkultur zu sehen, steht das Vermeiden von Fehlern weiter im Vordergrund. Zwar merken auch erfahrene Manager, dass es derzeit immer schwieriger wird, Zielvorgaben zu erreichen und Prozesse einzuhalten. Zugeben will man es deshalb aber noch nicht. Lieber wird die nächste Taskforce bemüht, als bewährte Erfolgsrezepte zu hinterfragen. Ganz nach dem Motto: „Alles im Griff! Bis jetzt haben wir‘s noch immer hinbekommen!“

So werden Mitarbeitende im Führungsalltag häufig mit widersprüchlichen Signalen ausgebremst. In Coachings höre ich immer wieder Sätze wie: „Es heißt immer, wir sollen mehr über Fehler sprechen. Aber wer hier Probleme anspricht, ohne im nächsten Satz eine passende Lösung zu präsentieren, der bekommt eins auf die Finger.“

Solche Erfahrungen machen deutlich: Eine lebendige Fehlerkultur scheitert selten daran, dass die Menschen in einer Organisation zu wenig wissen. Sie scheitert, weil es Menschen oft nicht gelingt, über Jahrzehnte erlernte Verhaltensweisen aufzubrechen und zu erneuern. Um das zu schaffen, müssen Leader den Mut aufbringen, gerade das zu hinterfragen, was sie in ihrer Karriere bislang erfolgreich gemacht hat.

Fehler vermeiden: Das Beispiel Thierry Henry

Wie schmerzhaft und zugleich befreiend es sein kann, die eigenen Muster zu hinterfragen, zeigt das Beispiel von Frankreichs Stürmerlegende Thierry Henry. In einem Interview gibt er das erste Mal Einblicke in die Hintergründe seiner persönlichen Erfolgsgeschichte. Und warum es auch ihm zeit seines Lebens schwergefallen ist, die Grundzüge seines Tuns und seiner Persönlichkeit zu hinterfragen.

Henry beschreibt, wie sein Vater schon am Tag seiner Geburt verkündete, aus ihm einen erfolgreichen Fußballer zu machen. Seitdem wurde alles dieser Mission untergeordnet. Mit 13 Jahren verlässt Henry das Elternhaus, absolviert das Fußball-Eliteinternat Clairefontaine, setzt sich gegen 1600 Mitbewerber durch. Es folgt eine Bilderbuchkarriere als Nationalspieler und Stürmerlegende in europäischen Topklubs. Bis er nach seiner aktiven Zeit in eine schwere Depression fällt.

Die Gründe sieht Henry in der frühen Prägung durch einen Vater, den er nie zufriedenstellen konnte. „Es ging für mich immer nur darum, die Anerkennung meines Vaters zu bekommen“, sagt Henry rückblickend. Als Einwanderer aus der Karibik sei es für die Eltern vor allem wichtig gewesen, sich anzupassen und hart zu arbeiten. Die Chance, sich in Frankreich ein besseres Leben aufzubauen, durfte nicht verspielt werden. Gefühle, Zuneigung, Lob, Umarmungen – daran kann sich Henry in seiner ganzen Kindheit nicht erinnern.

Für den Vater sei es stattdessen immer darum gegangen, dem Sohn seine Fehler und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen. „Egal wie gut du gespielt und wie hart du gearbeitet hast: Der Fokus war immer darauf, was du nicht getan hast oder wo du noch Defizite hattest“, beschreibt Henry den Erziehungsstil. „Ich konnte ein Spiel 6:0 gewinnen und dabei alle Tore schießen. Für meinen Vater war das egal. Für ihn zählte nur: Du hast dir diesen Fehlpass geleistet. Du hast diese Chance nicht genutzt. Du hast in diesem Zweikampf versagt.“

Henry erzählt all das nicht, um sich zu beklagen. Immer wieder stellt er klar: Sicher hätte er nie den Erfolg gehabt ohne diese frühe Prägung. Der unbändige Wille, bis ins letzte Detail an sich zu arbeiten, um seinen Vater, die Fans, die Mitspieler zufriedenzustellen – für Henry stets Antrieb, niemals zufrieden mit sich zu sein und immer besser zu werden.

Doch auf die Frage, welchen Preis er dafür gezahlt habe, antwortet er: „All das hat sicher dem Athleten geholfen, aber nicht dem Menschen Thierry Henry.“ Ob er jemals glücklich gewesen sei als Spieler, wird er gefragt. „Glücklich?“, entgegnet er. „Keine Ahnung. Habe ich mich nie gefragt. Es hätte mich nicht weniger interessieren können. Es ging immer nur darum, andere glücklich zu machen.“

Erst als Henry beginnt, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, fängt er an, die eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen. Er merkt, wie schwer es ihm fällt, die eigenen Gefühle zu verstehen und mitzuteilen. „Wenn du das Trikot überziehst, bist du jemand anderes“, sagt er. „Du bist tough, du bist stolz, du machst deinen Job und schießt Tore.“ Ohne das Trikot und den durchgetakteten Profialltag aber fühlt sich Henry lange Zeit verwundbar: „Dein Leben dreht sich immer nur darum, andere happy zu machen. Und dann merkst du auf einmal: Du schaffst es nicht.“

Thierry Henry bringt den Mut auf, sich Hilfe von Psychologen zu holen. Heute trainiert er die französische U21-Nationalmannschaft, lebt nahe der Familie und seiner Tochter. Zum ersten Mal in seinem Leben, so sagt er, fühle er sich menschlich.

Vorbild werden

Auch Topmanager wurden vielfach über Jahrzehnte von einer Kultur geprägt, die Fehlervermeidung belohnt und den menschlichen Umgang mit Problemen bestraft hat. Was können sie heute tun, um eine positive Fehlerkultur in ihrem Unternehmen selbst aktiv vorzuleben? Vom eindrücklichen Beispiel Thierry Henrys kann man drei Dinge lernen:

    Erstens: Damit aus alten Stärken keine Schwächen werden, müssen Führungskräfte etablierte Erfolgsrezepte hinterfragen. Denn wenn die Menschen in einer Organisation vor allem darauf konditioniert werden, feste Vorgaben zu erfüllen, schafft man im besten Fall treue Erfüllungsgehilfen. Was man dabei unterlässt, ist, Menschen zu ermutigen, eigene Ideen einzubringen und auch gegen Widerstände zum Wohle des Unternehmens voranzutreiben. Dabei ist es in der heutigen Welt gerade dieses Extra an Engagement und Kreativität, auf das es ankommt.

    Zweitens: Fehler als Chancen in einem kollektiven Lernprozess zu sehen heißt nicht, Kompromisse bei einer ambitionierten Leistungskultur zu machen. Ja, eine konstruktive Auseinandersetzung mit Fehlern ist essenziell. Das bedeutet jedoch keinesfalls, die Qualitätsstandards herabzusetzen. Harvard-Professorin Amy Edmondson empfiehlt, zwischen tadelnswerten und lobenswerten Fehlern zu unterscheiden. Wenn Fehler vorsätzlich oder durch Schlamperei verursacht werden, müssen Manager auch weiterhin durchgreifen. Wenn aber Fehler im Rahmen bewusster Versuche oder unter hoher Unsicherheit entstehen, sollte man den Mut belohnen und daraus lernen.

    Drittens: Die größte Hürde auf dem Weg zur lernenden Organisation sind wir oftmals selbst. Es reicht nicht, die Bedeutung einer gesunden Fehlerkultur nur auf rationaler Ebene zu verstehen. Moderne Leader müssen auch tiefergreifend auf emotionaler Ebene verstehen: Was hat mich bislang in meinem Führungsstil geprägt? Und wie möchte ich mich persönlich weiterentwickeln, um auch in Zukunft erfolgreich führen zu können? Wer es als Chef wirklich ernst meint mit der Transformation, muss darum den ersten Schritt machen – und offen zu den eigenen Fehlern stehen.

Die persönlichen Geschichten, die Thierry Henry erzählt, zeigen die Kehrseite einer negativen Fehlerkultur auf. Als Fußballtrainer will er deshalb nicht so sehr auf Drill und Disziplin setzen, sondern vor allem auf Verletzlichkeit und Empathie. Seine Überzeugung: „Wer als Coach auf diese beiden Fähigkeiten setzt, dem werden die Menschen aus freien Stücken folgen – und ihr Bestes geben.“ © HBm 2024

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