Haushaltssperre: Kann die Regierung jetzt noch Geld ausgeben?

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Bundesfinanzminister eine Haushaltssperre verhängt. Wie schlimm ist das? Wir klären die wichtigsten Fragen.

haushaltssperre: kann die regierung jetzt noch geld ausgeben?

Bundesfinanzminister Christian Lindner

Das Bundesfinanzministerium hat am Montagabend eine Haushaltssperre für alle Ministerien verhängt und dies mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds begründet. Die haushaltswirtschaftliche Gesamtlage soll überprüft werden, heißt es. Aber was bedeutet das konkret? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum hat Bundesfinanzminister Christian Lindner die Haushaltssperre verhängt?

Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt hat, folgen nun Konsequenzen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat eine Haushaltssperre verhängt, die nicht nur die von dem Karlsruher Urteil betroffenen Mittel, sondern auch weitere Nebenhaushalte umfasst. Das klingt dramatisch. Ganz so schlimm ist es aber nicht. Mit einer Haushaltssperre kann der Finanzminister zwar die Auszahlung von Geld blockieren, es heißt aber nicht, dass der Staat zahlungsunfähig ist.

Generell unterscheidet man zwischen einer Ausgabensperre und Sperrvermerken. Bei einer Ausgabensperre kann die Bundesregierung im Einzelfall entscheiden, ob es für ein Vorhaben Geld gibt oder nicht. Vor allem werden nun alle Nebenhaushalte des Bundes überprüft. Aus einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums, das am Montag an alle anderen Ministerien verschickt worden ist und das ZEIT ONLINE vorliegt, geht hervor, dass es aber nur um sogenannte Verpflichtungsermächtigungen geht.

Der Begriff bezeichnet ein haushaltsrechtliches Instrument, das sich so erklären lässt: Grundsätzlich dürfen Ausgaben nur veranschlagt werden, wenn diese noch im selben Haushaltsjahr fällig werden. In der Praxis funktioniert das aber nicht. Es gibt Projekte und Investitionen, die auf mehrere Jahre angelegt sind. Daher nutzen Verwaltungen sogenannte Verpflichtungsermächtigungen, um bereits für künftige Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen. Die nun verhängte Sperre bezieht sich auf 2023 “ausgebrachte und noch verfügbare” Verpflichtungsermächtigungen – also Zahlungsverpflichtungen für die Zukunft. Zugleich räumt das Bundesfinanzministerium die Möglichkeit ein, in Einzelfällen und nach strenger Prüfung doch noch Zahlungszusagen erteilen zu können.

Und wie schlimm ist das?

Vereinfacht formuliert, muss Deutschland bei der Planung künftiger Ausgaben sparen. Betroffen sind vor allem Ausgaben, die mit Mitteln finanziert worden wären, die nach dem Richterspruch aus Karlsruhe dafür nicht vorgesehen waren. Die Ampelregierung wollte zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigte Mittel für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft einsetzen und hatte unter anderem 60 Milliarden Euro in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) übertragen. Das ist nach dem Urteil der höchsten Richterinnen und Richter unwirksam. Die Haushaltssperre ist also eine Ausgabensperre für Teile des Bundeshaushalts, die Zusagen für die Zukunft betreffen –  und somit zunächst eine Vorsichtsmaßnahme. Der Finanzminister hat auch klargestellt, dass bestehende Verbindlichkeiten weiter eingehalten werden – aber eben keine neuen eingegangen werden dürfen, bis Klarheit herrscht.

Können Sozialleistungen nicht mehr bezahlt werden?

Nein. Viele Sozialleistungen wie etwa die Rente oder Arbeitslosengeld werden durch Sozialbeträge finanziert. Das Rentensystem ist ein Umlagesystem, Rentenbeiträge der Versicherten dürfen also nur für die Rentenkasse verwendet werden. Auch andere Sozialleistungen wie das Bürgergeld oder Kindergeld sind von der Haushaltssperre nicht betroffen. Manche fordern jetzt zwar, dass bei Sozialleistungen gespart werden sollte. Gemeint sind damit aber ebenfalls künftige Projekte wie die Kindergrundsicherung, deren Stopp nun etwa der Landkreistag ins Spiel bringt. Generell sollte man beachten, dass Deutschland ein sehr wirtschaftsstarkes Land ist und die Staatsschulden nicht überbordend hoch sind. Die Bundesrepublik hat etwa unter den G7-Staaten eine der geringsten Schuldenquoten.

Was passiert mit dem Klimafonds?

Nach dem Urteil musste das Bundesfinanzministerium Kreditermächtigungen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) löschen. Zahlreiche Programme etwa für die energetische Gebäudesanierung, die Förderung von E-Mobilität oder den Ausbau der erneuerbaren Energie sind bedroht. Die Regierung muss die fehlenden Milliarden anderswo auftreiben oder einsparen, um die Vorhaben zu finanzieren – eine riesige Herausforderung. Die Programme aus dem Klimafonds in den regulären Haushalt für 2024 zu verschieben, ist kaum vorstellbar. Die Verhandlungen über den Bundeshaushalt waren in diesem Jahr schon ohne dies kompliziert genug. Weil 2024 die Schuldenbremse wieder gilt, hatte Finanzminister Lindner den anderen Ministerien strenge Sparvorgaben gemacht. Jetzt ist offen, ob der Haushalt für das kommende Jahr unter diesen Umständen überhaupt beschlossen werden kann.

Bei einer Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags schätzen Experten an diesem Dienstag die Lage unterschiedlich ein.  “Der Kernhaushalt ist ausverhandelt und kann vorläufig verabschiedet werden”, sagt etwa der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf. Er hält allerdings für 2024 einen Nachtragshaushalt für erforderlich, um “entweder die Einnahmebasis zu erweitern oder Kürzungen vorzunehmen”. Im Gegensatz dazu fordert Finanzjurist Hanno Kube von der Universität Heidelberg zunächst einen Kassensturz und erwägt Kürzungen, die sowohl die Wirtschaft als auch die Bürgerinnen und Bürger betreffen könnten. Dabei bringt das Urteil aus Karlsruhe schon jetzt Unsicherheit in die Wirtschaft, die sowieso schwächelt. Die langfristigen Förderprogramme aus dem KTF hätten stabilisierend wirken können, sagte Berthold Wigger vom Karlsruher Institut für Technologie im Haushaltsausschuss. Die nun entstehende zusätzliche Unsicherheit belasteten auch Investitionspläne von Unternehmen sowie Bürgern.

Sind auch die Energiepreisbremsen betroffen?

Nach dem Richterspruch aus Karlsruhe deutet einiges darauf hin, dass auch die Mittel für die Energiepreisbremsen nicht wie geplant verwendet werden dürfen. Hier geht es um das Geld für den sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), den der Kanzler auch als “Doppelwumms” bezeichnet hat. Die Ausgestaltung dieses Fonds könnte ebenfalls verfassungswidrig sein. Das Bundesfinanzministerium hat deshalb inzwischen auch den WSF vorsorglich gesperrt.

2022 hatte der Bund den WSF mit Krediten in Höhe von 200 Milliarden ausgestattet, um die hohen Strom-, Gas- und Fernwärmepreise abzufedern. Die Mittel sollten auch 2023 und 2024 genutzt werden. Rechtswissenschaftler raten der Bundesregierung dazu, für das laufende Jahr erneut die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu nutzen und eine Notlage zu beschließen, um die Kredite abzusichern. Anfang 2023 seien die Auswirkungen der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg sehr stark spürbar gewesen, sagt etwa der Jurist Alexander Thiele im Haushaltsausschuss. “Es lag vertretbarerweise eine solche Notlage vor.”

Und was ist mit 2024? Eigentlich sollten die Strom- und Gaspreisbremsen bis zum Frühjahr gelten. Denkbar ist, dass man die Hilfen nun vorzeitig streicht, zumal sie angesichts des wenig angespannten Energiemarkts aktuell sowieso kaum greifen. Laut Nachrichtenagentur afp, die sich auf Kreise des Finanzministeriums bezieht, sei die Auszahlung der Energiepreisbremsen im Jahr 2023 aber “nicht betroffen”.

Wie kann die Regierung die Finanzen wieder ordnen?

Die Regierung muss einen rechtssicheren Weg finden, die eingeplanten Mittel für andere Zwecke zu verwenden als jene, für die sie einmal veranschlagt wurden. Die Regierung könnte erneut eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen – das schlagen auch Ökonominnen vor. Rechtlich ist das aber eher schwierig, zumal der Ukrainekrieg und die damit verbundene Energiekrise schon mehr als anderthalb Jahre andauern. Denkbar wäre auch, das Gesetz für die Schuldenbremse zu novellieren, sodass es grundsätzlich möglich wäre, mehr Schulden aufzunehmen. Die Bundesregierung kann aber auch versuchen, die Einnahmen zu erhöhen oder eben die Ausgaben zu reduzieren, mit neuen oder höheren Steuern. Möglich wäre etwa die Einführung einer Vermögenssteuer oder die Anhebung der Steuersätze. Auch Sozialleistungen könnten gestrichen oder gekürzt werden. Beides ist aber sehr unpopulär.

Wie geht es nun weiter mit dem Bundeshaushalt?

Nach der Anhörung von Experten im Haushaltsausschuss will die Ampelkoalition die Beratungen über den Etat für 2024 wie geplant abschließen. Ob das haltbar ist, ist umstritten. An diesem Donnerstag soll die sogenannte Bereinigungssitzung stattfinden – trotz der Bedenken einiger Sachverständiger, dass der Etatentwurf nach dem Urteil zum Klimafonds verfassungswidrig sein könnte. Der Ausschuss hatte seine abschließenden Beratungen am Freitagmorgen nach einer Nachtsitzung auf diese Woche Donnerstag vertagt, damit die Expertenanhörung an diesem Dienstag stattfinden konnte. Die Unionsfraktion hatte eine Verschiebung der Haushaltsberatungen gefordert. Die Union wollte die Expertenanhörung zudem bei ihrer Entscheidung berücksichtigen, ob sie weitere Verfassungsbeschwerden zur Haushaltsführung der Bundesregierung einreicht. Nach den Plänen der Ampelkoalition soll der Bundestag den Haushalt am 1. Dezember verabschieden.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World