Israelis besuchen die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln: Sind Schüler die besseren Diplomaten?

israelis besuchen die rütli-schule in berlin-neukölln: sind schüler die besseren diplomaten?

Schüler aus Israel bei ihrem Besuch des Rütli-Campus in Berlin-Neukölln

Die israelische Schülergruppe auf dem Neuköllner Rütli-Campus wirkt entspannt. Die Jungen tragen zwar dunkle Hosen und weiße Hemden, die Mädchen Blusen und Röcke, als ginge es ins Konzert. An den Füßen finden sich bei einigen aber klobige Stiefel oder Sneaker. Die Teilnehmer des israelischen Programms Young Ambassadors, auf Deutsch: Junge Botschafter.

Die Gäste aus Israel saßen zwei Stunden lang mit den Schülern der Gemeinschaftsschule in vier Räumen auf dem Rütli-Campus zusammen. Lehrer der Rütli-Schule und Vertreter der israelischen Botschaft waren anwesend bei dem Treffen. Die Erwachsenen hätten sich aber im Hintergrund gehalten, sagt Mehmet Can, Geschichts- und Politiklehrer am Rütli-Campus. Die Jugendlichen aus Israel und dem Berliner Bezirk mit vielen Familien palästinensischer Herkunft sollten sich möglichst ungezwungen begegnen, erklärt Can.

Anders als beim Besuch der Israelis in der deutsch-arabischen Ibn-Khaldun-Schule in Neukölln vor einigen Tagen musste die Presse bei dem Termin an der Rütli-Schule vor der Tür warten. Ein Kamerateam der „Tagesschau“ hatte das Treffen israelischer und arabischstämmiger Jugendlicher am 7. April in der Sprachschule begleitet. Die ARD brachte die Nachricht von einer friedlichen Begegnung von Israelis und jungen Berlinern mit arabischem Hintergrund in den 20-Uhr-Nachrichten, zuvor lief er in der „Abendschau“ des RBB.

Mehmet Can schildert, dass aus der Schülerschaft die Bitte gekommen sei, den Austausch ohne mediale Begleitung zu ermöglichen. Über die propalästinensischen Kundgebungen in Neukölln nach dem Angriff der Hamas auf Israel wurde bundesweit berichtet. Im Bezirk hat sich seitdem Schweigen breitgemacht. Viele Neuköllner palästinensischer Herkunft wollen in der Öffentlichkeit nichts mehr sagen zum Krieg zwischen der Hamas und Israel.

Das Angebot, mit israelischen Jugendlichen zu sprechen, sei dagegen laut Can bei den Rütli-Schülern auf große Resonanz gestoßen. Can leitet mit seiner Kollegin Clara Debour einen Kurs über Israel und Palästina an der Rütli-Schule. Er berichtet, dass über die Kursteilnehmer hinaus viele Schüler angefragt hätten, ob sie an der Begegnung teilnehmen könnten. Die Offenheit für ein Gespräch mit jungen Israelis erklärt er sich mit der einmaligen Gelegenheit, die sich geboten hat. Die Chance, Menschen aus Israel Fragen zu stellen, hätten sich viele Schüler nicht entgehen lassen wollen, sagt er.

Die 17-jährige Ofek Perah steht mit dem 18-jährigen Assa Shalev in einem Flur der Rütli-Schule vor einer blau gestrichenen Wand. Die beiden jungen Israelis kommen aus der Gemeinde Kadima-Zoran in Zentralisrael. Perah hat nach dem Austausch mit den Schülern der Rütli-Schule noch leicht gerötete Wangen. Ihre Gesichtszüge sind entspannt, als hätte sie etwas angenehm Aufregendes erlebt. Shalev und Perah haben vor dem Besuch erfahren, dass die Rütli-Schule einen hohen Anteil an Schülern mit einem arabischen Migrationshintergrund hat und viele Schüler palästinensische Wurzeln haben. „Ich war ein bisschen nervös vor dem Besuch. Aber dann haben mir gleich zwei Schüler so viele Fragen zu meinem Leben gestellt. Sie waren so interessiert. Da ist meine Nervosität verflogen“, sagt Perah.

Worüber reden Jugendliche, von denen viele annehmen, sie müssten sich hassen oder zumindest im Misstrauen begegnen? Instagram und die Frage, wer auf der Internetplattform wem folgt, scheint zwischen Jugendlichen in jedem Kontext ein Gesprächsöffner zu sein. Auch Perah und Shalev berichten, dass sich die Schüler aus Israel und Neukölln zunächst über ihre Instagram-Accounts ausgetauscht hätten, bevor sie sich Fragen zum Schulalltag und ihrem Teenager-Leben stellten. Aber die Unterhaltungen seien nach dem ersten Beschnuppern tiefer und persönlicher geworden, schildern die Israelis. „Ich habe mich mit einem Schüler unterhalten, dessen Eltern aus Palästina kommen und wir haben sehr respektvoll miteinander geredet“, sagt Perah. Sich anzuschreien oder zu beleidigen, nütze doch niemandem, sagt sie. Es klingt, als hätte sie die Begegnung mit einer anderen Perspektive nicht irritiert, sondern bereichert.

Auch Assa Shalev berichtet von vielen guten Gesprächen, wie schon in der deutsch-arabischen Ibn-Khaldoun-Schule in Neukölln. Er sei gar nicht nervös gewesen vor dem Besuch der Schule im palästinensisch geprägten Teil Neuköllns. „Ich finde es wunderbar, dass wir miteinander sprechen können, auch wenn wir manche Dinge anders sehen“, sagt der junge Israeli.

Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober war für den 18-Jährigen eine persönliche Tragödie. „Ich habe Freunde verloren auf dem Supernova-Festival“, sagt er. Die Hamas eröffnete am 7. Oktober das Feuer auf die Besucher des Techno-Festivals. 364 Besucher starben im Kugelhagel. Einige Monate später sitzt Shalev ausgerechnet mit Jugendlichen in seinem Alter in einer Berliner Schule, von denen sich manche um ihre Verwandten in Gaza sorgen, und hat gute Gespräche. Vielleicht versöhnen die friedlichen Begegnungen auf dem Rütli-Campus und der Neuköllner Ibn-Khaldun-Schule den 18-Jährigen etwas mit seiner aus den Fugen geratenen Welt. „Der Besuch war ein voller Erfolg“, sagt er immer noch ganz beseelt.

Die 20-jährige Sahar Daxa ist israelische Drusin und spricht Arabisch. Sie hat während der zwei Stunden vom Arabischen ins Hebräische übersetzt, wenn die Englischkenntnisse nicht ausgereicht haben, um etwas auszudrücken. Auch Daxa berichtet von einer großen Nähe, die sich in kurzer Zeit zwischen den Schülern entwickelt habe. „Wir sind Freunde geworden“, sagt sie. Viele hätten ihr Fragen zur Lage der arabischen Minderheit in Israel gestellt. Circa 20 Prozent der Israelis sind Araber. Neben der religiösen Minderheit der Drusen leben auch arabische Christen und Muslime in Israel. Manche Rütli-Schüler hätten wissen wollen, ob Araber in Israel überhaupt zur Schule gehen dürften, erzählt Daxa. Sie will im kommenden Jahr ihr Studium beginnen, um israelische Diplomatin zu werden.

Der Rütli-Lehrer Mehmet Can berichtet, dass es keine Vorauswahl unter den Schülern vor dem Treffen mit den Israelis gegeben habe. Wer teilnehmen wollte, habe sich an dem Austausch beteiligen können. Eine Delegation israelischer Schüler besuchte bereits 2019 die Rütli-Schule. Dann kam Corona und die Besuche mussten pausieren. „Ich bin überzeugt davon, dass es gerade jetzt wichtig ist, solche Treffen zu ermöglichen“, sagt er.

Der Krieg zwischen der Hamas und Israel fühlt sich nirgendwo näher in Deutschland an als in Neukölln. Viele Familien haben Verwandte in Gaza. Seine Schüler seien seit dem 7. Oktober aufgewühlt, sagt der Lehrer. Im Vorfeld habe niemand wissen können, ob bei den Begegnungen mit jungen Israelis bei manchem Gefühle hochkochen, sagt er. „Einige Schüler waren vertieft in ihrer Diskussion über den Krieg. Die wollten gar nicht mehr aufhören“, sagt er. Nur feindselige Worten oder persönliche Attacken hätten dabei gefehlt. Andere Schüler hätten ihre gemeinsame Zeit lieber mit Spielen verbracht. „Die Israelis haben unseren Schülern ein Spiel beigebracht, da musste man sich die ganze Zeit an den Händen halten“, erzählt der Lehrer. Junge Israelis und Schüler zum Teil palästinensischer Herkunft, die Tausende Kilometer überbrücken mussten, um zwei Stunden Händchen haltend miteinander zu albern, das ist tatsächlich eine Nachricht wert.

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