Heute vor 100 Jahren: Der abgesagte Opernball

heute vor 100 jahren: der abgesagte opernball

Heute vor 100 Jahren: Der abgesagte Opernball

Neue Freie Presse am 10. Februar 1924

Der Opernball ist verschoben. Und in diesem Fall hat das Sprichtwort Gott sei Dank unrecht: Verschoben ist tatsächlich aufgehoben! Die Kunst darf sich bei der Börse bedanken. Wenn die Börsenkurse fallen, so steigen die Aktien Beethovens, Mozarts, Richard Wagners, dann besteht die begründete Aussicht, daß die Oper jenem Zwecke, der in der Vergangenheit wenigstens als ihr eigentlicher betrachtet wurde, nicht entfremdet wird, daß sie nicht Tanzboden werden, sondern vielmehr Kunstinstitut bleiben darf. Es ist ein öffentliches, ein sogar amtlich, oder sagen wir wenigstens halbamtlich zugestandenes bitteres Geheimnis, daß auf den Opernball verzichtet wird, weil die Zahl derer eine geringe ist, die gesonnen waren, die Mammutpreise für Eintritts- oder gar für Logenkarten zu bezahlen. Und diese Zurückhaltung wieder wird mit der augenblicklichen Börsenkonjunktur begründet. Lassen wir heute die Zweifelsfrage unerörtert, ob es angänglich ist, unsere Oper in ein Vergnügungslokal für jene Leute umzugestalten, die in Epochen der Börsenhausse in arger Verlegenheit sind, wie sie das leichtgewonnene Geld wieder zum Fenster hinauswerfen sollen. Es bleibe außer Diskussion, ob man der Wiener Oper, diesem angeblich höchsten Kulturstolz unserer Stadt, es nicht hätte ersparen können, in mehr oder weniger aussichtsreiche Konkurrenz mit den verschiedenen, reichlich genug vorhandenen Nachtlokalen zu treten.

.Angenommen, aber nicht zugegeben, daß der Sanierungszweck die Mittel heilige! Jedenfalls wäre es aber im höchsten Grade wünschenswert, wenn die verschiedenen Sanierungsprojektanten die nötige Konsequenz an den Tag legen würden, wenn man sich klar machte, daß es für die Entwicklung unserer Bundestheater, nicht nur für die künstlerische, sondern auch für die materielle, nichts Gefährlicheres geben kann, als wenn dem Publikum förmlich systematisch die Meinung beigebracht wird, es sei zur Rolle der Ratten im untergehenden Schiff verurteilt. Jeden Tag wird eine andere Methode angepriesen, das Weh und Ach unserer Bundestheater von einem Punkte aus zu kurieren. Jeden Tag wird ein anderer Teufel an die Wand gemalt. Bald heißt es Versteigerung, bald Verpachtung, bald Filmgemeinschaft, bald Kommunalisierung! Das alles geschieht mit einem solchen Unernst, so spielerisch und zusammenhanglos, so ganz in der Art der Banderiogs, der Affen in Ruyard Kiplings „Dschungelbuch“, daß man mit dem Gefühl aufrichtigen Mitleids an die Künstler denken muß, die verurteilt sind, unter solchen Umständen „die Fahne hochzuhalten“, wie der beliebte Ausdruck lautet. Es ist kein allzu großer Gewinn, daß bisher überzeugend nachgewiesen worden ist, wie Burgtheater und Oper nicht saniert werden sollen.

Zu der Erkenntnis, daß die Schnüre der Geldkatzen unserer Milliardäre nicht so locker zugezogen sind, wie gläubiger Optimismus angenommen zu haben scheint, gesellt sich jetzt die Erkenntnis, daß der Snobismus in der ehemaligen Kaiserloge der Hofoper am Büfett schmatzen und Zigarettenstummeln auf den kostbaren Teppich werfen zu dürfen, an einem Male schon genug hat und sich eine Wiederholung dieses Genusses keine sechs- oder siebenstelligen Beträge kosten lassen will. Die mangelnde Ehrfurcht für die künstlerische Tradition und für die Bestimmung des Opernhauses aber war mit einer geradezu rührenden Unkenntnis der Wiener Faschingseele gepaart. Man kann darüber urteilen, wie man will: die Tatsache bleibt bestehen, daß sich seit Jahr und Tag eine unverkennbare Abkehr von den großen Repräsentationsfesten immer deutlicher geltend macht, was auch darin seinen Ausdruck findet, daß immer mehr Bälle sich in Redouten umwandeln. Es war von vornherein ein verfehltes Experiment, sich durch den Klang des aus Paris importierten Schlagwortes berauschen zu lassen und zu glauben, daß man im Handumdrehen eine alte Pariser Institution jenem Teile der Wiener mundgerecht machen könne, welche die Mittel besitzen, solche Feste mitzufeiern. Nach der Opernredoute einen Opernball ansetzen, bedeutet eine Umkehrung der Speisenfolge, die auch für jene nichts Verführerisches hatte, denen sich bei der ganzen Angelegenheit nicht ohnehin schon der Magen umdrehte.

Heute vor 90 Jahren: Russland baut das größte Flugzeug der Welt

Das Flugzeug “Maxim Gorki” soll  hauptsächlich der „geflügelten Propaganda” dienen.

Neue Freie Presse am 9. Februar 1934

Nach Meldungen aus Rußland ist jetzt im Zentralhydrodynamischen Institut ein Flugzeug in Bau, welches das größte der Welt werden soll. Der Aeroplan, der den Namen “Maxim Gorki” erhalten soll, wird siebzig bis fünfundsiebzig Personen in Salons und Kabinen unterbringen können, von denen einige auch in die Flügel eingebaut sein werden. Selbstverständlich ist auch für entsprechende Schlafräume gesorgt.

Der “Maxim Gorki” soll hauptsächlich der „geflügelten Propaganda” dienen und wir dementsprechend ausgestattet. Er wird photo- und kinematographische Laboratorien, eine Radiosende- und -empfangsstation, Fernsehapparate enthalten, ferner unter den Flügeln montierte Lautsprecher, durch die aus der Luft Reden und Nachrichten übermittelt werden.

Sollte der Luftkreuzer gezwungen sein, auf freiem Felde niederzugehen, so wird ein mitgeführtes Motorrad ermöglichen, die Verbindung mit der nächsten Ortschaft herzustellen., Ein dichtes Netz von Telephon- und Sprachrohranlagen sorgt im Inneren des Riesenflugzeuges für rascheste Verständigung.

Anmerkung: Die Tupolew ANT-20 “Maxim Gorki” startete am 17. Juni 1934 zu ihrem Erstflug.  Am 18. Mai 1935 stürzte sie bei einem Paradeflug über Moskau mit Arbeitern der Flugzeugfabrik und deren Angehörigen an Bord ab. Grund für das Unglück war ein Kunstflugmanöver, das ein I-5-Jäger als Begleitflugzeug neben der ANT-20 ausführte und dabei eine Tragfläche rammte. 49 Menschen kamen bei dem Absturz ums Leben.

Österreichs Wiederaufbau als Vorbild

Zwei hochrangige Briten loben die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs.

Neue Freie Presse am 8. Februar 1924

In London wurden gestern Lobreden auf Österreich gehalten. Der Lord-Präsident des Geheimen Rates und Sprecher der neuen Regierung im Oberhause Lord Parmoor war zugegen und Lord Balfour, der bekanntlich bei der Genfer Aktion die entscheidende Rolle gespielt hat. Das Festbankett der Englisch-Österreichischen Gesellschaft wurde durch die Teilnahme dieser zwei Staatsmänner und durch die Ansprachen, die sie hielten, zu einer politischen Kundgebung von Bedeutung.

Die Reden auf Österreich wurden zugleich zu Lobreden auf den Völkerbund. Lord Balfour bezeichnete den österreichischen Wiederaufbau als den größten Erfolg, den der Völkerbund bisher zu verzeichnen gehabt habe und erklärte, daß die Erinnerung  an diese Tat den Pessimismus verscheuchen könne.

Lord Parmoor knüpfte an diese Worte gewissermaßen an, und er gedachte der Lage Deutschlands und der großen Aufgabe der nahen Zukunft, nun Deutschland Hilfe zu bringen. (…) Für Österreich ist es eine große Genugtuung, daß seine Anstrengungen neuerdings so klare Anerkennung finden und daß seine Entwicklung als vorbildlich angesehen wird. Und es ist eine nicht geringere Genugtuung und Freude für uns, daß einer der führenden Männer der englischen Regierung gerade ein österreichisches Fest in London zum Anlaß genommen hat zu einem Appell zugunsten der Befreiung Deutschlands aus seiner Not.

Soll es ein Recht auf Abtreibung geben?

Die Regierung überlegt geringere Strafen für Schwangerschaftsabbrüche. Das gehe nicht weit genug, meint die “Presse”.

Neue Freie Presse am 7. Februar 1924

Es ist bereits als ein entschiedener Fortschritt zu begrüßen, daß heute im Finanzausschuss des Nationalrates auch vom Regierungstische aus in einer brennenden Frage dem bequemen Grundsatz des “Wer darf vor keuschen Ohren nennen…” ganz entschieden entgegengehandelt wurde. Diese Frage steht nicht erst seit gestern auf der Tagesordnung der Öffentlichkeit. Nur hat man sich scheu und verlegen an ihr vorbeigedrückt, hat sich willig damit abgefunden, daß die veralteten Bestimmungen unseres Strafgesetzbuches über die Abtreibung der Leibesfrucht geltendes Unrecht geblieben sind.

Die einen, die blinder Zufall unter die Räder der Gesetzesmaschine geraten ließ, werden mit schwerer Ahndung, mit Vernichtung der bürgerlichen Existenz bedroht, während die anderen, die Glücklicheren, mit behendem Fuß den verrosteten Fußangeln auszuweichen wissen, die im Paragraphengestrüpp liegen geblieben sind. Der Vizekanzler hat heute die Reformbedürftigkeit und Reformreife der einschlägigen Bestimmungen zugegeben. Er hat auch darauf verwiesen, welche Unbill darin gelegen ist, daß die Strafbarkeit wegen Unterbrechung der Schwangerschaft geradezu ein Privileg der minderbemittelten Schichten der Bevölkerung ist. (…)

Noch immer spukt die optimistisch-utilitaristische Weltanschauung der Theologen herum, noch immer will man auch auf diesem Gebiete von einer wirklichen Trennung von Staat und Kirche nichts wissen, noch immer hat man sich vor allen Dingen nicht genügend klargemacht, daß der alte Militärstaat versungen hat, und daß daher kein staatliches Interesse daran besteht, Alkovenspionage zu betreiben. Auch in dieser Hinsicht wird man jedoch schließlich nicht daran vorbeikommen können, daß die Frau in der modernen Gesellschaft eine ganz andere Stellung einnimmt als in jener grauen Vergangenheit, da zu Beginn des vorigen Jahrhunderts jene Strafgesetzparagraphen geformt wurden, die beinahe unverändert in das geltende Strafgesetzbuch übersiedelt sind

.Es widerspricht jedoch unserer sittlichen Anschauung, die Frau ausschließlich als Gebärmaschine zu werten und ihr das Selbstbestimmungsrecht darüber zu versagen, ob sie ein Kind zur Welt bringen will oder nicht. Das generelle Verbot der Fruchtabtreibung hat sich längst als undurchführbar erwiesen. Leider verspricht der Ausweg, dessen Möglichkeit der Vizekanzler heute andeutete, keine genügende und durchgreifende Abhilfe. Damit wäre nämlich blutwenig getan, wenn man sich begnügte, die angedrohten Strafen herabzusetzen, die Abtrteibung fernerhin nicht mehr als Verbrechen, sondern bloß als Vergehen zu betrachten und als solche milder zu bestrafen.

Das wäre bloß eine neuösterreichische Halbheit. Es stünde sogar zu befürchten, daß solche gutgemeinte Abänderung eher nachteilige Folgen nach sich zöge. Das Risiko gewissenloser Hebammen und anderer ungeübter Personen würde geringer. Das Hauptrisiko der verzweifelten und unglücklichen Frau, die durch Unberufene einen Eingriff vornehmen ließe, würde hingegen dasselbe bleiben. Das Risiko der Gesundheit nämlich oder gar des Lebens. Man wird Farbe bekennen müssen und die Frage des Rechtes auf kein Kind ohne Voreingenommenheit und ohne atavistische Scheuklappen zu beantworten haben.

Die Beförderung von Hunden auf der Straßenbahn

Tierfreunde befürchten, dass nach erfolgter Elektrifizierung auf der Stadtbahn das Mitnehmen von Hunden, wie das bereits auf der Straßenbahn der Fall ist, nicht gestattet sein wird.

Neue Freie Presse am 5. Februar 1924, Abendblatt

Unter der Führung des Abgeordneten Forstner sprach gestern vormittag beim Bürgermeister Seitz eine Abordnung des Wiener Tierschutzvereines un des Oesterreichischen Kynologenverbandes vor. Präsident Hofrat Führer und Vorsitzender Dr. Karl Witzelhuber machten den Bürgermeister darauf aufmerksam, daß gegenwärtig auf der Wiener Stadtbahn die Beförderung von Hunden gestattet sei. Da die Gemeinde nunmehr die Stadtbahn elektrifiziere und auf der Straßenbahn Hunde nicht befördert werden, befürchten die Tierfreunde, daß nach erfolgte Elektrifizierung auch auf der Stadtbahn das Mitnehmen von Hunden nicht gestattet werden würde. Dadurch werde aber eine rationelle Ausbildung der Hunde zur Führung Blinder, der Polizeihunde, Jagdhunde usw. sehr erschwert, da diese Ausbildungsgelegenheiten meist sehr weit entfernt sind und die Besitzer der Hunde diese weiten Strecken zu Fuß zurücklegen müßten.

Die Abordnung verwies ferner darauf, daß nicht nur in Graz und Linz, sondern auch in einer Reihe großer deutscher Städte, wie Berlin, Dresden und München, das Mitnehmen von Hunden in die Straßenbahn gestattet sei. Die Gemeindeverwaltung möge daher ebenfalls die Beförderung von Hunden auf der Straßenbahn gestatten. Der Bürgermeister sagte, daß derzeit dieser Wunsch noch nicht erfüllt werden könne, da die Straßenbahnwagen meist stark überfüllt sind. Bei der Elektrifizierung der Stadtbahn werde über die Beförderung von Hunden noch beraten werden. Die Abordnung sprach dann noch bei dem amtsführenden Stadtrat für die städtischen Unternehmungen, Vizebürgermeister Emmerling, vor, der in Anwesenheit des Straßenbahndirektors Ingenieur Spängler eine wohlwollende Lösung dieser Angelegenheit im geeigneten Zeitpunkt in Aussicht stellte.

Zum Tod des amerikanischen Ex-Präsidenten Woodrow Wilson

Woodrow Wilson ist unter den tragischen Gestalten der großen Welttragödie, die wir seit einem Jahrzehnt erlebten, eine der tragischsten.

Neue Freie Presse am 4. Februar 1924

Ein Einsamer ist gestern gestorben. Vor fünf Jahren war Woodrow Wilson für die halbe Menschheit eine größere Hoffnung und schien seine Gestalt sich zur übermenschlichen Größe eines Messias zu erheben. Die Enttäuschung ist damals rasch gekommen und schon die letzten Monate seiner Präsidentschaft, von der er im Frühjahr 1921 abtrat, sahen ihn ohne Macht und Ansehen, verflucht von den einen, belächelt von den andern. Beides, Fluch wie Spott, waren ungerecht, aber sie waren begreiflich nach dem Uebermaß der Gläubigkeit, mit der man von ihm die Rettung aus dem Chaos, die Ueberwindung alles Bösen, die Zertretung des Kriegsgeistes und des Völkerhasses erwartet hatte. Der Umschwung im Winter der Pariser Friedensverhandlungen war zu groß gewesen und der Gegensatz zu kläglich zwischen dem Prediger eines neuen Weltheils und dem Politiker, der in der Gesellschaft routinierter Diplomaten und Minister versagte.

Woodrow Wilson ist unter den tragischen Gestalten der großen Welttragödie, die wir seit einem Jahrzehnt erlebten, eine der tragischsten. Man darf wohl sagen, daß kaum je ein Mann unter so günstigen Auspizien, wie er, an den Stufen des höchsten Menschenruhmes gestanden hat. Er war Präsident der Vereinigten Staaten, die an Macht und Reichtum von Monat zu Monat zunahmen, während Europa sich zerfleischte, und auf die alle Blicke der europäischen Nationen gerichtet waren. Der Präsident dieses Riesenreiches mochte als der natürliche Mittler erscheinen, als vom Schicksal Berufener, um die Völker aus dem Krieg zum Frieden zurückzuführen und unter dem Protektorat eines neutralen Amerika eine gerechtere Welt aufzubauen. Millionen erschien Wilson auch als Mensch für diese Mission wohl geeignet. Denn er war ein Kind jenes amerikanischen Puritanismus, der als eine Abzweigung des englischen dessen Züge bewahrt hat und der das eigene Volk als von Gott dazu auserwählt betrachtet, der Welt ein Beispiel rechten Menschentums zu geben. Diesen Kreisen entstammten von jeher eifrige Missionäre, die zugleich für ihren Gott und für ihr Land werben gingen und in ihnen waren auch die Ideen des Pazifismus und der Völkerverbrüderung längst heimisch.

Der demokratische junge Historiker Woodrow Wilson stand früh unter dem Einfluß dieser Gedanken. Ueber dem Studium der Grundsätze Rousseaus und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung war er, wie Professor Lammasch einmal über ihn schreibt, zu ähnlichen Theorien gekommen, wie ein Jahrhundert vor ihm Immanuel Kant. Und seit er dann öffentlich zu wirken begann, dachte der Professor sich wohl seinen berühmten Landsmann William Penn als Vorbild, von dem er selbst sagte: Er sei eine Art geistiger Ritter gewesen, der auf seine Abenteuer auszog, um die Fackel voranzutragen, die ihm in die Hand gegeben war, auf daß der Menscheit der Pfad, der zur Gerechtigkeit und Freiheit führt, erleuchtet werde. In seinen Reden, in seinen großen Kundgebungen gab sich Wilson als ein solcher Fackelträger, trat er auf als der Apostel einer neuen Heilslehre.

Was hätte er leisten können, wäre er gewesen, was die anderen, was er selbst geglaubt hatte. Aber schon ehe er nach Paris herüberkam, hatte er die schwersten Fehler begangen und gezeigt, daß der Apostel nur ein Professor war, wenn auch von einem besonderen Zuschnitt und von dem reinen Willen, auf der Höhe, auf die ihn das Schicksal gestellt hatte, für das Gute zu wirken. Viele nahmen ihn freilich von Anfang an nicht ernst, und gerade unter seinen Mitbürgern gab es keine geringe Anzahl, die ihm Heuchelei und politische Winkelzügigkeit vorwarfen. Vor dem Kriege als Nachfolger von Taft, hatte er in der inneren und äußeren Politik die demokratischesten Gesichtspunkte vertreten, in den mexikanischen und chinesischen Angelegenheiten jede Eimischung in fremde Verhältnisse verdammt und in der Frage der Trusts mit ihrer Politik der geheimen Konventikel, wie er sie genannt hat, den in der Masse populären Standpunkt vertreten. Damals war Hartnäckigkeit eine seiner bezeichneten Eigenschaften gewesen und auch später, in seinem Verhalten von Beginn des Weltringens bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg, hatte er diese Starrheit, dieses Festhalten an einmal aufgestellten Thesen bewiesen, von denen er keine Abweichungen zulassen wollte. Aber seine heimischen Gegner fanden schon da manchen Widerspruch zwischen dem demokratischen Gehaben und dem Gewährenlassen der Schwerindustrie, die Amerika systematisch in den Krieg hineintrieb und die Idee des Kampfes gegen Deutschland auf dem Wege über die Börse popularisierte. Lincoln Colcord nannte in der Newyorker „Nation“ den Präsidenten in einem später entworfenen Porträt einen Charlatan von besonderer Fähigkeit zu vollständiger Selbsttäuschung und unglaublicher Selbstzufriedenheit. Erst habe er die vierzehn Punkte aufgestellt und in ihnen Amerikas Ideale in Worte gekleidet und dann habe er sich tatsächlich einzubilden vermocht, daß die Geheimverträge, die er aus Paris mitbrachte, noch immer die selben vierzehn Punkte seien.

Die Pariser Konferenz war das Grab der Willsonschen Größe. Hier, in den Beratungssälen, in denen die Sieger die neue Weltkarte zeichneten und in denen ein Feilschen um Länder und Völker geführt wurde, schamloser und verheerender als je in den Tagen des verrufenen Wiener Kongresses, hier ward Wilson rasch zu einer fast tragikomischen Figur. Die Franzosen erkannten bald seine Eitelkeit und wußten sie vom Augenblick seiner Landung an geschickt zu benützen. Noch als er in den Kreis der Alliierten eintrat, fürchtete ihn jeder als den Repräsentanten des mächtigen Amerika als den Träger von Ideen, die in den Massen auch der Siegerstaaten bereits gewaltige Anhängerscharen hatten. Wohl war seine Situation durch die deutsche Katastrophe bereits erschwert, denn der innere Niederbruch Ludendorffs und der Waffenstillstand, der aus ihm folgte, hatten den Ententegeneralen in Zivil und Uniform das Gefühl der Unabhängigkeit von den kurz zuvor noch untertänig erflehten amerikanischen Divisionen gegeben. Aber immerhin, hinter Woodrow Wilson stand doch das Riesenreich mit seiner neugewonnenen außerordentlichen finanziellen Vormachtstellung, hinter ihm stand sein eigener großer Ruf, hinter ihm standen die Hoffnungen der Völker.

Wie hat er diesen Besitz ruhmlos vertan und verschleudert. Sein erster Fehler war, daß er sich sachlich und technisch gänzlich unvorbereitet nach Europa begab, statt vom Weißen Haus in Washington aus die Rolle des mächtigen Schiedsrichters zu übernehmen. Und dann in Paris selbst war sein ganzer monatelanger Aufenthalt eine Kette von politischen Schlappen. Keynes, der ihn damals an der Arbeit sah, bezeichnete ihn als einen blinden und tauben Don Quichotte, unfähig, seine Gedanken zu vertreten, in Rede und Wechselrede für sie einzustehen und sie den Menschen mundgerecht zu machen. Seine Ungewandtheit erregte allgemeines Erstaunen, und bald sahen die Clemenceaus und alle die anderen Baumeister der Friedensverträge, daß er tatsächlich keine Pläne, keine Vorschläge, keine konstruktiven Ideen über den Ozean mit herübergebracht hatte, daß er waffenlos war und leicht zu bekämpfen und zu besiegen.

Und sie besiegten ihn gründlich. Sie wußten ihm einzureden, daß alles, was sie, die Gedanken der vierzehn Punkte, in deren Namen die Waffenruhe zustandegekommen war, vergewaltigend, in ihre Friedensparagraphen aufnahmen, daß alles das diesen Gedanken entspreche. Sie brachten ihn so weit, daß er in seiner Denkschrift über die Adria die Londoner Abmachungen, mit denen in der Hand Italien in den Krieg eingetreten war, fast gänzlich mit seiner Autorität deckte, erst viel später das Unheil dieser Anerkennung begreifend. Freilich, eine gewaltige Hilfe war seinen Ueberwindern, daß er schon damals fast allein stand, daß er gerade in seiner Heimat, die Mehrheit nicht mehr hinter sich wußte und mit der Stimmung zu kämpfen hatte, die, angeekelt und verärgert durch die Pariser Erfahrungen, den innenpolitischen Umschwung beschleunigte und die Partei der Abwendung von Europa rasch anwachsen ließ. So blieb nichts übrig als der Gedanke des Völkerbundes, aber nachdem man den anderen großen Gedanken der nationalen Selbstbestimmung völlig einseitig nur im Interesse der Sieger und ihrer Protegés verwirklicht hatte, blieb auch der Völkerbund eine Waffe in der Hand der europäischen Alliierten, ein unfertiges Gebilde, das erst allmählich sich von den Fesseln, in die es geschnürt wurde, loszumachen hoffen kann, und das trotz seiner großen Leistungen gerade für Oesterreich und nun für Ungarn auch heute noch der Sehnsucht der Völker für diese Idee so gar nicht entspricht. Gleichwohl, die Begründung dieses, wenn auch so unfertigen und so mißgestalteten Völkerbundes wird mit Wilsons Namen verknüpft bleiben und als sein historisches Verdienst angemerkt werden.

Heute, im Augenblick des Todes dieses Mannes, der in den Annalen des Weltkrieges immerhin eine so große Rolle spielen wird, muß man gerechterweise neben seinen Schwächen auch dieses Verdienst feststellen. Das Tragische an ihm war, daß man ihn für mehr hielt, als er gewesen ist, daß das tiefe Verlangen, der Wunsch der durch die Kriegsgreuel gequälten Menschheit nach einer großen und überragenden Gestalt, nach einem Heilbringer ihn zu einer Höhe erhob, der er, der wirkliche Wilson, ganz und gar nicht gewachsen war. Millionen sahen in ihm ein Licht, und mußten erkennen, daß es ein Irrlicht war. Millionen glaubten an ihn und wurden enttäuscht. Seine Schuld aber war, daß er diesen Glauben zuerst durch große Worte gestützt hat und daß er diese Enttäuschung ins Ungeheure steigerte durch die menschlichen Schwächen der Eitelkeit und der Unbelehrbarkeit. Wieviel hat die Welt, wieviel haben besonders wir, hat besonders das deutsche Volk unter diesem Versagen, unter dieser Abtrünnigkeit Woodrow Wilsons gelitten. Unter den Schuldigen der Weltkatastrophe, des Chaos von heute, ist er mit in erster Reihe. Daß man diese seine Schuld als eine tragische bezeichnen kann, macht sie nicht geringer. Trotzdem aber wird Woodrow Wilsons Gestalt, wenn auch die Ereignisse mehr schwächliche als große Züge in sie eingezeichnet haben, im Gemälde unserer Zeit einen vordersten Platz innehaben.

Die Katastrophe der russischen Stratosphärenflieger

Es wurden keinerlei Anzeichen einer Vereisung der Hülle und Gondel entdeckt.

Neue Freie Presse am 3. Februar 1934

Die Kommission, die am Orte der Katastrophe des Stratophärenballons die Untersuchung durchgeführt hat, stellte fest, daß ein Teil der wissenschaftlichen Apparate der Piloten zerschlagen, der andere Teil halb zerstört ist. Die Niederschriften der Flugteilnehmer und die Niederschriften der Barographen sind vollkommen erhalten. Die Kommission hat weiter festgestellt, daß der Stratosphärenballon um 12.33 Uhr eine Höhe von 22 Kilometer erreichte, auf der er sich bis 12.45 Uhr hielt, worauf der Abstieg begann. Die Notizen des Bordjournals wurden regelmäßig eingetragen. Die letzte Eintragung ist von 16.10 Uhr. Diese Zeit betrachtet die Kommission als den Katastrophenbeginn. Der Barograph setzte seine Arbeiten um 16.21 Uhr aus. Die Zeiger der Taschenuhr Wassenkos blieben infolge des Aufschlages der Gondel um 16.23 Uhr stehen.

Die Ursache der Katastrophe ist die überaus progressiv wachsende Schnelligkeit des Niederganges des Stratophärenballons, was augenscheinlich ein Zerreißen eines Teiles der Stropps und eine Störung des Gleichgewichtes des ganzen Systems zur Folge hatte, weshalb sich die Gondel von der Hülle losriß und zur Erde stürzte. Es ist festgestellt, daß die Flugteilnehmer infolge dieses Aufschlages ums Leben gekommen sind. Es wurden keinerlei Anzeichen einer Vereisung der Hülle und Gondel entdeckt. Das von einem Radioamateur empfangene Radiogramm, das eine Vereisung des Stratosphärenballons mitteilte, entspricht daher nicht der Wirklichkeit.

Aus allen erhaltengebliebenen Niederschriften geht hervor, daß während der ganzen Flugzeit bis 14.10 Uhr die Besatzung des Stratophärenballons guter Stimmung und von dem Gelingen der Landung fest überzeugt war. Aus den Niederschriften und den Apparatresten konnte die große wissenschaftliche Arbeit, die die Flugteilnehmer geleistet haben, festgestellt werden.

Die Häufung tödlicher Straßenunfälle in England

Die Festsetzung einer Höchstgeschwindigkeit wird verlangt. In ein neues Gesetz dürfte diese Bestimmung aber nicht aufgenommen werden. Dafür dürften Fußgängern Strafen drohen.

Neue Freie Presse am 2. Februar 1934, Abendblatt

Der kürzlich vom Ministerium des Innern veröffentlichte Bericht über die Häufung tödlicher Straßenunfälle in England hat in der Bevölkerung, insbesondere bei den Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften, alarmierend gewirkt. Von allen Seiten wurde die Regierung aufgefordert, eine gesetzliche Bestimmung über den Straßenverkehr zu erlassen, da offenbar die bisherigen nicht ausreichen, die Gefahren der Straße auf ein Minimum zu reduzieren. In erster Linie richten sich die Angriffe gegen die Autowildlinge, und dementsprechend verlangt man die Festsetzung einer Höchstgeschwindigkeit und strenge Strafen für Geschwindigkeitsexzesse.

Die Regierung ist nun daran, ein neues Verkehrsgesetz auszuarbeiten, dessen Fertigstellung aber kaum vor Ostern zu erwarten ist. Soweit darüber bekannt wird, ist nicht beabsichtigt, in das neue Gesetz eine Bestimmung über eine Höchstgeschwindigkeit aufzunehmen, da es schon jetzt die lokalen Behörden in der Hand haben, in ihrem Bereich Geschwindigkeitsgrenzen festzusetzen. Immerhin sind auch in dieser Richtung strenge Maßnahmen zu erwarten. Wichtig ist, daß das neue Gesetz eine Strafe für Fußgänger festsetzen wird, die wild an beliebigen Stellen die Straßen überqueren oder sich nicht an die Zeichengebung der den Verkehr regelnden Beamten halten.

Die mangelhafte Beheizung in den Mittelschulen

Hierin tritt wieder die stiefmütterliche Behandlung der Schulen zutage.

Neue Freie Presse am 1. Februar 1924

Aus Kreisen der Wiener Mittelschullehrer wird uns geschrieben: Schon seit mehreren Jahren wird über die höchst mangelhafte Beheizung der Wiener Mittelschulen Klage geführt, da das Heizen durch eine Reihe behördlicher Erlässe gedrosselt wird, die übrigens auch das Lüften der Schulräume fast unmöglich machen. Auch hierin tritt wieder die stiefmütterliche Behandlung der Schulen zutage. Es gibt Rentner, für die es keine Heizvorschriften zu geben scheint, und es war ein merkwürdiger Kontrast, als im vorigen Winter in einer Mittelschule Lehrer und Schüler vormittags bei 9 Grad, nachmittags sogar bei 4 Grad frieren mußten, während in einem benachbarten Amtsgebäude die Fenster offen standen, weil die Bureauräume überheizt waren.

In dem heutigen außergewöhnliche strengen Winter hoffte man auf eine Zurücknahme der erwähnten Erlässe. Statt dessen wurden die Direktoren kürzlich auf das peinlichste durch einen neuen drakonischen Erlaß überrascht, der sie unter persönlicher Haftung verpflichtet, in diesem Winter eine 30prozentige Ersparnis an Brennmaterial zu erzielen. Als Grund wird das angeblich hochwertige Material angeführt, das den Schulen geliefert wird. In den kalten Klassenzimmern merkt man allerdings von dem hohen Werte dieses Materials nichts. Gleichzeitig wird das Verbot der Beheizung der Räumlichkeiten, welche die Lehrmittelsammlungen enthalten, erneuert. Es wird also zum Beispiel dem Professor für Physik, der sich täglich stundenlang in seinem Kabinett aufhalten muß, um die Experimente für den nächsten Schultag vorzubereiten, zugemutet, dies in einem während des ganzen Winters ungeheizten Raume zu tun.

Es wird Sache des Verbandes der Mittelschullehrer und der Direktorenvereinigung sein, dieser unwürdigen Behandlung der Lehrer und der Schule mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Auch die Eltern gedenken, sich eine derartige Gefährdung der Gesundheit ihrer Kinder nicht bieten zu lassen, und diese Angelegenheit wird voraussichtlich in den nächsten Sitzungen des an jeder Mittelschule eingerichteten Elternrates zur Sprache kommen.

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