Im Hafen Mukran liegen auf der Baustelle der Deutsche Regas zum Rügener LNG-Terminal große Rohre.
Im Kampf um den Bau von Flüssigerdgas-Terminals (LNG) auf Rügen steht der Stadt Sassnitz eine stürmische Sondersitzung des Stadtrats bevor: Am Donnerstag sollen die Stadtvertreter darüber abstimmen, ob die Bürger von Sassnitz über den Ausbau des Hafens Mukran mitentscheiden dürfen. Seit Monaten kämpft eine Bürgerinitiative gegen die Pläne der Stadt. Norbert Dahms, der Initiator des Bürgerbegehrens, sieht im Gespräch mit der Berliner Zeitung eine grundsätzliche Weichenstellung und ist hörbar aufgebracht: „Seit Monaten wird die Messlatte immer höher gelegt. Es muss einem einfachen Bürger doch möglich sein, einen Antrag einzubringen ohne immer neue Schikanen.“ Der Grund für Dahms’ Ärger: Seit Monaten blockiert die Stadt den Versuch von 1000 Sassnitzern, eine Mitwirkung der Bürger zu erreichen. Die Bürger wollen mitentscheiden, ob Sassnitz im großen Stil zu einem Industriestandort umgebaut wird: „Es geht um eine Frage, die uns hier in Sassnitz unmittelbar betrifft. Da wollen wir mitreden. Wenn ohne unsere Zustimmung gebaut wird, werden wir faktisch enteignet. So, wie die Stadt sich bisher verhalten hat, wird die Kommunalverfassung ausgehebelt. Wir bewegen uns in Richtung Diktatur.“
Die Stadt Sassnitz steht mit dem Rücken zur Wand: Die Finanzlage ist trist. Vom neuen LNG-Hafen verspricht sich Bürgermeister Leon Kreusche zusätzliche Steuereinnahmen. Die Stadt fürchtet, dass eine Bürgerbeteiligung das Projekt stoppen könnte. Doch Dahms sagt, dies stehe im Moment überhaupt nicht zur Diskussion: „Wir haben keinen Antrag gegen das LNG-Terminal formuliert. Unser Begehr lautet, dass die Bürger mitwirken können. Danach gibt es ohnehin noch hohe Hürden: Wir müssen mindestens 25 Prozent der Wähler überzeugen, gegen den Ausbau zu stimmen. Und auch dann steht noch nicht fest, ob der Ausbau nicht doch beschlossen wird.“ Daher will Dahms die Stadtvertreter überzeugen, mit den Bürgern gemeinsam eine Befragung zu organisieren.
Der Kampf wird mit harten Bandagen geführt. Nach Weihnachten hatte die Stadtverwaltung die Unterlagen zur Beschlussvorlage veröffentlicht – flankiert von einer Medienkampagne: „LNG-Terminal auf Rügen: Behörden stufen Bürgerbegehren als unzulässig ein“, titelte beispielsweise die Ostsee-Zeitung. „Das ist tendenziöse Berichterstattung“, schimpft Dahms. Er sagt, dass eine neue Stellungnahme in keiner Weise zu dem Schluss komme, dass die Bürger ausgeschlossen werden müssten. In dem behördlichen Schreiben heißt es: „Unter Würdigung aller aufgeführten Aspekte kommt die untere Rechtsaufsichtsbehörde zu dem Ergebnis, dass der Argumentation der Beschlussvorlage nicht in allen Punkten gefolgt werden kann. Dennoch kann in der Gesamtbetrachtung und unter Einbeziehung der Ausführungen des Wirtschaftsministeriums festgehalten werden, dass die Annahme der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens als gut vertretbar erscheint.“ Tatsächlich enthält dieses Fazit jede Menge Konjunktive. Die Stadtvertreter seien also frei zu entscheiden, was sie für richtig halten. Dahms sagt, dass er in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Stadtvertretern gesprochen habe. Er hält es für möglich, dass der Stadtrat der Bürgerbeteiligung trotz des Gegenwinds zustimmen könnte: „Die Sache steht auf der Kippe“, sagt Dahms.
Die Bürgerinitiative beruft sich unter anderem darauf, dass die untere Rechtsaufsichtsbehörde ihr Begehren als korrekt formuliert und durchgeführt ansieht. Auch der Wirkungskreis der Stadt Sassnitz wird bestätigt. Damit entkräfte die untere Rechtsaufsichtsbehörde ein Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Domberg aus Potsdam, die von der Stadt Sassnitz hinzugezogen worden war. Auch die in der Fragestellung formulierten Bedenken, dass das Terminal negative Folgen für Natur und Wirtschaftsbereiche der Insel herbeiführen könnte, wurden als berechtigt angesehen und dürfen angeführt werden, ohne dass diese als beeinflusst gelten könnten.
Der einzige Punkt, den die Stadtverwaltung jetzt noch anführen könnte, sei „skandalös“, so Dahms: Mitte Oktober war zwischen dem Bund und dem Land Mecklenburg-Vorpommern eine Verwaltungsvereinbarung „Hafenausbau Sassnitz-Mukran“ über Fördermittel von bis zu 31,7 Millionen Euro geschlossen worden. Diese hätte von den Initiatoren des Bürgerbegehrens in einem Kostendeckungsvorschlag berücksichtigt werden müssen. Das sei Unsinn, sagt Dahms. Der Hafenausbau sei bereits im Februar 2022 beschlossen worden, um den Hafen auch für Schiffe der Klasse Panamax Plus zugänglich und damit zukunftstauglich zu machen. Mit LNG-Infrastruktur habe dies überhaupt nichts zu tun.
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