Einmal sind sie pink, dann erinnert die 44 an Runen. An den Fussballtrikots der deutschen Nationalmannschaft reiben sich die Fans

Die neue Typografie für das deutsche Trikot, das im Sommer an der Europameisterschaft zum Einsatz kommt, sorgt für Verstimmungen. Geert van Erven / Defodi ;/ Getty

Im Rückspiegel der Zeit sieht fast alles besser aus. Die Autos waren schöner, die Frisuren eindrucksvoller, die Kleider eleganter, die Familienfotos gnädiger. Das trifft auch für Fussball-Shirts zu. Was Maradona, Beckenbauer, Pelé oder Cruyff am Leib hatten, sieht aus heutiger Sicht viel cooler aus als die modernen Trikots, in denen die Topfussballer unserer Zeit auflaufen. Diese sind, weil aus synthetischen Hightech-Geweben gefertigt und körpernah geschnitten, für die Sportler sicher angenehm zu tragen und bleiben auch bei Nässe federleicht. Ihnen fehlt aber meist das ikonische Etwas, das wirklich unvergessliche Fussballtrikots ausmacht.

In der Weltbestengalerie der schönsten Fussballtrikots steht das gelbe Brasilien-Shirt mit den grünen Bündchen von 1970 zuoberst – heute noch unerreicht in seiner Einfachheit und Präzision. Den Entwurf hatte der damals 19-jährige Aldyr Schlee gezeichnet, der später auch als Journalist und Schriftsteller von sich reden machte. Das Shirt war so schön wie jenes der Schweizer Nationalmannschaft der frühen 1960er Jahre. Roter Grund, weisses Kreuz auf der Brust – basta!

Keine Logos, Schriftzüge und Ziffern entstellten damals die zumeist aus Wolle oder Baumwolle gefertigten Shirts. Man denke an das feuerrote Langarm-Auswärts-Shirt der Engländer 1966, nur mit einem Wappen mit drei Löwen bestickt. Oder das mit drei Adidas-Streifen auf orangem Grund geschmückte Heimtrikot der Niederländer 1974 – von dem Johan Cruyff, der bei Puma unter Vertrag stand, einen Streifen wegmachen liess. In Erinnerung bleibt auch das peruanische Heimspiel-Shirt der WM 1978, mit einem breiten roten Diagonalstreifen auf weissem Grund. Es sah aus, als hätten die Spieler eine Ehrenschärpe um, auch wenn sie von Argentinien mit 0:6 brutal weggeschossen wurden.

Noch sponsorenlos: Das Trikot des brasilianischen Fussballstars ;Pelé (1970 in Mexiko). Mirrorpix / Getty

Mehr Stoff für Sponsoren

Ab den späten 1970er Jahren wurde immer mehr auf das Fussballtrikot gepflastert, mit der Folge, dass die Shirts bis zu den mittleren 1990er Jahren immer weiter wurden. Mehr textile Fläche bedeutete auch mehr potenzielle Einnahmen von Sponsoren. Heute spottet man über die Trikots jener Zeit nur noch – zu baggy, bunt, chaotisch und werberisch, um haltbar zu sein. Den Vogel schoss 1994 der mexikanische Goalie Jorge Campos ab, in einem bunt gezackten Trikot. Sein Outfit gilt bis heute als eines der scheusslichsten der Fussballgeschichte, dicht vor dem englischen Nationaltorwart David Seaman und seinem 1996er Shirt.

In den letzten Jahren wurden die Trikots dann wieder enger, um die athletischen Merkmale der Topfussballer noch besser zur Geltung zu bringen. Das führte schliesslich zum «Trikot-Gate» an der Europameisterschaft 2016, als den Schweizern reihenweise die sexy roten Leibchen rissen. Sie waren anscheinend zu scharf auf Form geschnitten, um bei handgreiflichen Duellen standzuhalten. Beim Hersteller Puma in Herzogenaurach tagte noch am Folgetag des Matches gegen Frankreich ein Krisenstab, um zu klären, was das Problem war. Heute weiss man: Es war eine «fehlerhafte Teillieferung» aus schadhaften Stoffen, mehr nicht.

Apropos: Auch bei Pumas Erzrivalen Adidas, im gleichen Städtchen ansässig, rauchen gerade die Köpfe. Der Grund für die Verstimmung ist nicht unbedingt der gekündigte Ausrüstervertrag mit dem DFB (die deutsche Nationalelf wechselt ab 2027 zu Nike in die USA), sondern die neue Typografie für das deutsche Trikot, das im Sommer an der Europameisterschaft zum Einsatz kommt. Dieses können Fans jetzt bereits online bestellen und personalisieren lassen, und dabei wurde von einem findigen Kopf auch die Zahl 44 bestellt.

Mit der zackigen neuen Typografie erinnert die 44 allerdings frappant an die verbotenen Runen der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS). Ein Skandälchen rauschte durch die internationale Presse. Dumm gelaufen: Adidas hatte die Zahlen 0 bis 9 zwar der Uefa zur Prüfung vorgelegt, auch alle Kombinationen bis und mit 26 – doch an die 44 hatte man nicht gedacht. Das Shirt kann deshalb ab sofort nicht mehr mit dieser Zahl bestellt werden.

Mit der zackigen neuen Typografie erinnert die 44 allerdings frappant an die verbotenen Runen der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS). Jonathan Tah, 2024. Bernd Feil / Imago

Pink? So unmännlich

Die Krisenstäbe bei Adidas bleiben bis auf weiteres in Alarmbereitschaft. Denn für Diskussionen sorgt bereits jetzt das neue Auswärts-Shirt des DFB: Es hat einen Farbverlauf von Pink bis Lila und passt damit auch gut für die Pride-Paraden, die etwa im selben Zeitraum in ganz Europa stattfinden. «Zu tragen mit rosa Schlüppi und Einhorn», spottet ein User unter dem Instagram-Beitrag des Fachmagazins «Kicker». Den weiteren Kommentaren nach zu schliessen fürchten sich offenbar noch immer viele Fussballfans, mit Pink etwas von ihrer Männlichkeit zu verlieren.

Stilistisch nähern sich die nun vorgestellten Nationaltrikots für die EM 2024 wieder den eingangs erwähnten Klassikern der 1960er Jahre an. Überraschend ist sicher das nachtblaue Auswärts-Shirt der Engländer, das zart vanillegelbe Trikot von Spanien, das Albanien-Shirt mit einem kontrastierenden Polo-Kragen oder das leuchtend blaue, sauber aufgeräumte Trikot der Franzosen, mit einem grossen goldenen Hahn auf der Brust.