EGMR-Urteil zur Klimakrise: Der Scheinsieg von Straßburg

Der Sieg der KlimaSeniorinnen in der Schweiz wurde von vielen gefeiert. Doch der Weg über die Gerichte greift zu kurz.

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EGMR-Urteil zur Klimakrise: Der Scheinsieg von Straßburg

Die Euphorie selbst über kleine Erfolge wächst proportional mit einer schlechter werdenden Gesamtsituation. Das Klimaurteil aus Straßburg in dieser Woche ist dafür ein gutes Beispiel. Klimapolitik hat nicht nur in Europa, sondern weltweit gerade einen schweren Stand. Im Energiesektor, in der Landwirtschaft oder in der Mobilität geht es vielerorts einen Schritt voran und zwei zurück. Es ist verständlich, dass bei vielen die Freude über den Richterspruch zur Schweiz groß war, aber die Verhandlungen zeigten, wie wenig nachhaltig der Gang über die Gerichte sein kann, wenn es das Ziel ist, mehr Klimaschutz zu erreichen.

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Die 17 Richterinnen und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren durch gleich drei Klagen aufgerufen zu urteilen, ob die Klimaschutzpolitik mehrerer Regierungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats verstößt. Die Eingabe der Gruppe »KlimaSeniorinnen«, die Versäumnisse der Schweizer Behörden beim Klimaschutz beklagte, die »ihren Gesundheitszustand ernsthaft beeinträchtigen« würden, war jedoch die einzig Erfolgreiche. Ergebnis: Die Schweiz – und nur die Schweiz – ist nun aufgefordert, ihre Klimapolitik nachzubessern.

Die deutlich weitreichenderen anderen Klagen scheiterten. Darunter auch die einer Gruppe von sechs Portugiesen gegen alle EU-Länder sowie Norwegen, die Schweiz, die Türkei, Großbritannien und Russland. Sie wollten erreichen, dass insgesamt 32 Regierungen ihre Emissionen ihrer Länder drastisch senken.

Konkret betroffen durch das von Aktivisten als historisch bezeichnete Urteil ist also eine Volkswirtschaft, deren Emissionen einem Neunzehntel Deutschlands entsprechen. Und nicht einmal für die Schweiz ist klar, ob der Richterspruch dort wirklich zu Verbesserungen führen wird: »Das Urteil ist rein deklaratorisch. Das bedeutet: Es gibt keine konkreten Vorgaben für die Schweiz«, sagt Johannes Reich, Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich und Experte für internationales Klimaschutzrecht. »Deshalb bin ich auch etwas vorsichtig mit der Champagnerlaune, die wir in den letzten Tagen gesehen haben.«

Dieser Fall zeigt also, dass der Gang vor die Gerichte zu kurz greift. Das tatsächlich historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor ein paar Jahren zu einer raschen Nachschärfung der deutschen Klimaziele führte, ist freilich ein Gegenbeispiel, doch handelte es sich hier um eine nationale Klage. Die Klimakrise wirkt grenzüberschreitend, ebenso wie die CO₂-Emissionen, die sie verursachen. Und gerade hier zeigen sich die Schwächen der Gerichtsbarkeit.

Denn die Klage der Portugiesen scheiterte, weil der EGMR »keinen Grund für die Ausweitung der extraterritorialen Gerichtsbarkeit« aller verklagten Staaten außer Portugals sah. Die Kläger hätten sich also erst in Portugal durch alle Instanzen klagen müssen, bevor sie auch andere Länder in die Verantwortung nehmen. Ein langer und mühsamer Weg.

Sinnvoller erscheint es da, trotz aller Schwierigkeiten, weiter auf die Politik zu setzen.

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Die Themen der Woche

Klimaurteil gegen die Schweiz: »Ich bin vorsichtig mit der Champagnerlaune«

Die Schweiz tut zu wenig gegen die Klimakrise, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Doch führt das Urteil überhaupt zu politischen Veränderungen? Antworten von Experte Johannes Reich.

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Die Klimakrise kennt keine nationalen Grenzen, Gerichte leider schon. Das Urteil zu einer abgewiesenen Klage zeigt, dass die Richter die neue Realität anerkennen – und auch so handeln müssen.

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Aufrüstung und Klimapolitik: Deutschlands CO₂-Ausstoß sinkt – außer bei der Bundeswehr

Manöver und Übungen erhöhen die klimaschädlichen Emissionen der Bundeswehr, zeigt eine Kleine Anfrage, die dem SPIEGEL exklusiv vorliegt. Ein Großteil des CO₂ taucht allerdings gar nicht in der Bilanz auf.

Bleiben Sie zuversichtlich.

Ihr Kurt Stukenberg,

Stv. Ressortleiter Ausland

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