Aufstand der Anständigen – und der Rest?

Deutschlandweit demonstrieren Tausende gegen Rechts. Die Journalisten von Correctiv bringen ihre Recherchen über rechtsradikale Umtriebe auf die Theaterbühne. Die Sorge um die Demokratie mobilisiert. Doch das hat auch bedenkliche Effekte.

aufstand der anständigen – und der rest?

Schauspieler des Berliner Ensembles spielen bei einer szenischen Lesung weitere Details zu einem Treffen von AfD-Politikern, Rechtsextremisten und Unternehmer vor.

Plötzlich ist Deutschland aufgeschreckt. Seit Jahren trägt die AfD rechte Töne und Begriffe in den Bundestag, nutzte die gesellschaftlichen Spannungen während der Pandemie, um Zweifel am demokratischen System zu säen, und ließ aggressive Querulanten ins Parlament. Eigentlich ist es also nicht überraschend, dass Vertreter dieser Partei auch an rechtsradikalen Treffen teilnehmen. Doch seit den Enthüllungen der Journalisten von Correctiv ist etwas anders.

Tausende gehen in diesen Tagen gegen Rechts und für die Demokratie auf die Straße. Großkundgebungen sind auch für die kommenden Tage geplant. Das hat sicher damit zu tun, dass es in Deutschland inzwischen Netzwerke wie Fridays for Future gibt, die sehr schnell mobilisieren können und das gerade auch tun. Doch auf derartigen Widerhall trifft das wohl nur, weil sehr viele sich ernsthafte Sorgen machen über rechte Angriffe auf die Demokratie und deren Wehrhaftigkeit. Die Enthüllungen zu dem „Geheimtreffen“ in Potsdam hatten eine neue Qualität. Zum ersten Mal haben sie einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass Rechtsradikale sich mit Politikern und Unternehmern zusammentun, die über Macht und Ressourcen verfügen. Und dass diese Leute sehr konkret an einer radikalen Umgestaltung Deutschlands, an der Abschaffung von Demokratie arbeiten und sich dabei unverhohlen die Nazi-Zeit zum Vorbild nehmen.

In Potsdam wurde an einem „Masterplan“ für das ganze Land gearbeitet. Plötzlich geht es nicht mehr einzig um Hetze gegen „illegale Migranten“, sondern um uns alle. Um die Art, wie wir leben, diskutieren, Probleme lösen wollen. Den Enthüllungen von Correctiv ist es also zu verdanken, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft eine Gefahr, die sie für mehr oder weniger abstrakt und vernachlässigbar hielt, in ihrer ganzen Tragweite erkannt hat. Und dagegen aufsteht.

Allerdings bleibt die Frage, mit welcher Wirkung? Die Demos für die Demokratie dienen dazu, öffentlich zu bekennen, welche Werte dieses Land tragen. Das ist wichtig. Wie alle Demos sorgen sie zudem für Selbstvergewisserung. Die schweigende Mehrheit wird laut, sie begegnet sich selbst, sie vergewissert sich ihres Standpunkts. Das stärkt. Es zeigt zugleich, dass es neben dem Schrecken über rechte Umtriebe hinter bürgerlicher Fassade auch die Angst gibt, die Demokratie in Deutschland sei verletzbarer als gedacht. Es gibt ja genügend Beispiele in Europa für Staaten, die ihre demokratische Ordnung in Teilen verloren haben. In Ungarn und Polen ging das über institutionelle Wege schleichend, die Zivilgesellschaft konnte die Prozesse nicht aufhalten. Anscheinend wollen sich viele in Deutschland rechtzeitig schützend vor eine politische Ordnung stellen, die ihnen Freiheit und Wohlstand verschafft hat und auf deren Problemlösungskapazität sie vertrauen. Eine Ordnung, die auch verhindern soll, dass sich Faschismus wiederholt. Bei allem Frust über das Regierungshandeln der aktuellen Koalition. Auf einmal gehts ums Ganze. Die Demos stärken also die Demokraten im Land, aber stärken sie auch die Demokratie?

Es bleibt die Frage, was mit denen ist, die das große Ganze gerade nicht sehen wollen, sondern Abstiegsängste haben, sich nicht gut vertreten fühlen in einem Parlament voller Akademiker und die Migrationspolitik ablehnen. Menschen, die von geschlossenen Grenzen träumen, die Kosten für Integration unverhältnismäßig finden, sich Sorgen machen über islamistische Demos in deutschen Städten und Leute, die ihnen fremd erscheinen, wieder loswerden wollen. Trotz Fachkräftemangels und egal, was massenweise Abschiebungen für die Betroffenen und die Rechtsstaatlichkeit bedeuten würden. Was ist mit denen, die das alles wichtiger finden als die Sorge um die politische Ordnung? Diese Leute erleben sich jetzt als die anderen, als die Zuhausebleiber, als die weiter in die Ecke Gedrängten, die nicht dabei sind, wenn Demokraten sich selbst feiern. Zusammenhalt fördert das nicht. Austausch auch nicht.

Dabei treibt womöglich viele, die jetzt gegen Rechts demonstrieren, auch die Hoffnung an, AfD-Sympathisanten ließen sich umstimmen und mitreißen. Sie erwarten vielleicht, dass der Schrecken darüber, wie radikal die Gesinnung in Kreisen ist, die wir beschwichtigend rechtspopulistisch nennen, auch Protestwähler erwachen lässt. Auch jene, die noch immer glauben, weil eine Partei wählbar ist, sei sie auch demokratisch. Die AfD führe schon nichts im Schilde, das an die Grundfesten geht. Doch gerade der hohe Ton der Streiter für Demokratie dürfte die Gräben in Deutschland vertiefen. Und der AfD am Ende womöglich nützen. Ressentiments sind hartnäckig. Und „jetzt erst recht“ ist ein starkes Motiv. Bei den anstehenden Landtagswahlen könnte es ein böses Erwachen geben für Leute, die glauben, die gesellschaftlichen Spannungen ließen sich wegdemonstrieren.

Wie sehr es bei all dem auch um Milieufragen geht, zeigt der jüngste Theaterabend zu den Potsdam-Enthüllungen im Berliner Ensemble. Schauspieler brachten da, teils in süffisantem Ton, die Rechercheergebnisse von Correctiv auf die Bühne, nannten Namen, stellten Bezüge her, machten anschaulich, welche rechten Ungeheuerlichkeiten bei dem Geheimtreffen zur Sprache kamen. Und wie sehr es dabei um Geld und Gewalt geht. Das Theater als moralische Anstalt lief zu Hochform auf. Es leistete Aufklärungsarbeit im besten Sinne und erntete minutenlangen Applaus. Deutschlandweit wurde in andere Theater übertragen, ein Livestream ins Netz gestellt. Für alle, die sich Sorgen machen und die Zusammenhänge besser verstehen wollen, ist das ein guter Abend. Doch er ist auch eine Feier der Selbstzufriedenheit von Menschen, die sich auf der guten Seite wähnen, moralisch überlegen, aufgeklärt.

Es bleibt ein gutes Signal, dass Menschen im ganzen Land nicht schweigen wollen, wenn Rechtsextreme „Masterpläne“ schmieden, um faschistische Verhältnisse zu schaffen. Solche Machenschaften brauchen eine Antwort. Doch alles Auftrumpfende ist dabei zu vermeiden, wenn es weiter um Verständigung, Interessensausgleich und das Entkräften von Ressentiments gehen soll. Auch davon lebt Demokratie.

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