Die Justizvollzugsanstalt in Frankfurt-Preungesheim: Hier saß Salina M., seit kurzem ist sie wieder in Freiheit.
Mehr als 14 Jahre ist es her, dass ihr Mann in Fürth-Ellenbach im Odenwald getötet wurde, neun Jahre, dass sie vom Landgericht Darmstadt als seine Mörderin verurteilt wurde. Seit einer Woche ist Salina M. frei, ohne dass sie freigesprochen wurde oder das Verbrechen aufgeklärt wäre. Es ist ein Fall, der auf bizarre Weise zeigt, wie schwer es fallen kann, Recht zu sprechen. Das Frankfurter Oberlandesgericht hat einen neuen Prozess vor dem Landgericht in Kassel und die sofortige Entlassung der Neunundfünfzigjährigen aus dem Strafvollzug angeordnet. Es reagierte damit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es falsch sei, dem Wiederaufnahmeantrag der Verteidigung nicht stattzugeben.
Der Verteidiger von Salina M., der Frankfurter Rechtsanwalt Hans Wolfgang Euler, hat in den vergangenen Jahren alle Register gezogen, die der Rechtsstaat bietet. Er legte gegen das Mordurteil Revision ein, die der Bundesgerichtshof verwarf. Die darauf folgende Verfassungsbeschwerde wies Karlsruhe ab. Euler gab nicht auf und zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 2021 drang er dort mit seiner Ansicht durch, gegen seine Mandantin sei kein fairer Strafprozess geführt worden.
Überfallen und mit Chloroform betäubt
Es ist das juristische Verwirrspiel um ein brutales Verbrechen, das bisher mit verletzten Gefühlen und Habgier erklärt wurde. Kurz vor Weihnachten 2009 fand man den Geschäftsmann Michael M. in seinem Haus in Fürth-Ellenbach im Odenwald erschlagen auf. Er war offenbar überfallen und mit Chloroform betäubt worden. Nach langwierigen Ermittlungen nahm die Polizei Graham S., den damaligen Lebensgefährten von Salina M., fest. Eine Schwurgerichtskammer des Darmstädter Landgerichts verurteilte den Briten im Jahr 2011 wegen Mordes: Er habe im Auftrag seiner Lebensgefährtin deren Mann getötet, weil die beiden hätten verhindern wollen, dass Michael M. weiter Geld aus dem gemeinsamen Vermögen nach Malaysia schaffe. Dort hatte der Neunundfünfzigjährige begonnen, mit seiner neuen, deutlich jüngeren Partnerin eine neue Existenz aufzubauen. Das Ehepaar M. war mehr als 20 Jahre verheiratet gewesen, hatte Kinder großgezogen, gemeinsam eine Firma für Im- und Export aufgebaut, ehe es zum Zerwürfnis kam. Die Scheidung stand an.
Im dem ersten Prozess, in dem allein er angeklagt war, schwieg Graham S. Nachdem jedoch seine Revision abgewiesen und das Urteil wegen Mordes rechtskräftig wurde, belastete er seine Partnerin schwer: Sie habe ihm eine Falle gestellt. Sie habe ihn damals von England, wo das Paar lebte, nach Fürth geschickt, um Unterlagen bei ihrem Mann abzuholen, diesen jedoch nicht angetroffen. Er vermutete, Salina M. habe einen Dritten mit dem Mord beauftragt und ihm die Tat unterschieben wollen.
Abgelehnter Befangenheitsantrag als Knackpunkt
Salina M. bestreitet bis heute, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Das Landgericht Darmstadt verurteilte sie gleichwohl 2014 wegen gemeinschaftlichen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Auch wenn das Gericht Graham S. als notorischen Lügner bezeichnete, basiert das Urteil gegen Salina M. wesentlich auf dessen Aussagen.
Schon zu Beginn des Prozesses gegen Salina M. in Darmstadt stellte ihr Verteidiger gegen den Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer einen Befangenheitsantrag. Der Richter hatte als Beisitzer in der Hauptverhandlung gegen Graham S. mitgewirkt. In dessen Urteil stand, dieser habe den Plan für das Verbrechen gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Salina M. geschmiedet. Deswegen könne der Richter in dem neuen Prozess gegen seine Mandantin nicht als unvoreingenommen angesehen werden, begründete der Verteidiger seinen Antrag, den Richter in dem Verfahren gegen Salina M. auszuschließen. Der Antrag wurde abgewiesen. Auch der Bundesgerichtshof sah später keinen Grund, deswegen das Urteil aufzuheben. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den darauf folgenden Antrag auf Verfassungsbeschwerde ab.
Der Prozess beginnt wieder bei null
Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte darin einen Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens. Die Angeklagte habe berechtigterweise befürchten können, der Vorsitzende Richter habe sich schon vor ihrem Prozess eine vorgefasste Meinung über ihre Schuld gebildet, sagten die Straßburger Richter.
Mit dem Verdikt vom Februar 2021 war wieder die deutsche Justiz am Zug. Wer allerdings glaubte, damit sei nach dem Wortlaut der Strafprozessordnung klar, der Prozess gegen Salina M. müsse neu aufgerollt werden, den belehrte das zuständige Landgericht in Kassel eines anderen, es lehnte die Wiederaufnahme ab. Das von der Verteidigung angerufene Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung: Zwar sei der Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention ein Grund, die Wiederaufnahme zu prüfen. Allerdings sei nicht nachgewiesen, das angefochtene Urteil „beruhe“, wie das Gesetz verlange, auf dem Verstoß gegen die Prinzipien eines fairen Verfahrens. Weil der Gerichtshof dem Richter in dem Prozess in Darmstadt bescheinigt habe, er persönlich könne als unparteilich gelten, müsse die Verurteilte darlegen, weshalb davon auszugehen sei, es gebe einen Zusammenhang zwischen dem Urteil und der möglichen Befangenheit des Richters.
Das Bundesverfassungsgericht, zum zweiten Mal in diesem Fall angerufen, bereitete dem Gezerre schließlich ein Ende. Der Angeklagten einen solchen Nachweis aufzulegen sei „unerfüllbar und unzumutbar“, heißt es in dem Beschluss vom Dezember 2023, über den zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Das Oberlandesgericht beugte sich diesem Votum und ordnete Mitte März an, das Landgericht Kassel müsse einen neuen Prozess führen.
Die Hauptverhandlung ist noch nicht terminiert. Der Prozess beginnt bei null, Erkenntnisse aus dem ersten Verfahren 2014 in Darmstadt dürfen keine Rolle spielen. Wer von den Zeugen noch erreichbar ist, bleibt abzuwarten. Insbesondere ist ungewiss, ob Graham S., der ehemalige Lebensgefährte der Angeklagten, kommen wird. Er war schon bald nach seiner Verurteilung zur Verbüßung seiner Strafe in seine Heimat England überstellt worden. Für Salina M. gilt wieder die Unschuldsvermutung.
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