„Garbo lacht!“: So bewarb die Produktion 1939 Lubitschs „Ninotschka“.
Spätestens seit ihrer Oscarnominierung als beste Hauptdarstellerin ist Sandra Hüller in aller Munde, doch spricht sie an diesem Wochenende gut zweieinhalb Stunden nur von einem: Ernst Lubitsch. Das Werk des deutschen Regisseurs, der Berlin schon vor mehr als 100 Jahren den Rücken kehrte und mit seiner filmischen Raffinesse das Hollywoodkino maßgeblich prägte (man sprach bald darauf vom „Lubitsch-Touch“), kommt mit den Stimmen von Sandra Hüller, Jens Harzer und Florian Lukas ins Radio – und wirft die Zuhörer mitten hinein in die Phase seiner stilbildenden Werke der Dreißigerjahre.
Freche Diebin gegen reiche Witwe: Kay Francis, Miriam Hopkins und Herbert Marshall in „Ärger im Paradies“ (1932)
Gleich zu Beginn taucht man ein in Lubitschs Lieblingsfilm aus dem eigenen Werk, „Ärger im Paradies“ (1932). Der getragen-süßliche Titelsong der Komödie, der auch in der Radioadaption die Geschichte einleitet, wirkt wie das Vorspiel zu einem klassischen Liebesfilm. Doch, so lässt Sandra Hüller den Hörer sogleich wissen, sei er schon in Lubitschs Falle getappt: Denn es folgt keine konventionelle Liebesgeschichte. Obwohl Liebschaften und die aus ihr folgenden Verwerfungen fast immer ein zentrales Thema bei Lubitsch sind, stellt sich keine seiner Geschichen als erwartbar heraus.
Wie soll man sich da bloß entscheiden? Gary Cooper, Fredric March und Miriam Hopkins in „Serenade zu dritt“ (1933)
Keine Sexzene mit Kino der Dreißiger
So geht es in „Ärger im Paradies“ etwa um das Liebespaar Lily und Gaston (gespielt von Miriam Hopkins und Herbert Marshall), die sich als Diebe in Venedig kennen- und lieben lernen, als sie versuchen, einander gegenseitig zu bestehlen. Doch als das Gaunerduo es in Paris auf die wohlhabende Witwe Mariette Colet (Kay Francis) absieht und sich bald darauf ihre Gunst erschleicht, kommen Gaston und das vermeintliche Opfer sich plötzlich näher, als es der Plan vorsah – und die Eifersucht im Liebesdreieck spielt fortan Pingpong.
Die Autorin der Radiosendung, Martina Müller, adaptiert den 83-minütigen Lubitsch-Film, indem sie Audioschnipsel des Originals, die einen Eindruck der Stimmung und Geräuschkulisse vermitteln, mit Elementen ihrer Hörspielbearbeitung kombiniert, die den Zuhörern all das sprachlich vermittelt, was sie nicht sehen können. Die Handlung von „Ärger im Paradies“ verdichtet die Autorin so auf etwa 15 Minuten, ohne dass ihr Hörspiel je zu einer Art generischer Radiofassung würde. Ganz und gar lebendig wirken Lily und Gaston, gerade weil man als Zuhörer die Zeit bekommt, ihre Originalstimmen zu hören, die nicht mit Synchronstimmen überblendet werden, sondern mal hier, mal dort von Hüller, Harzer und Lukas ins Deutsche übersetzt werden.
„Wie die beiden die Nacht verbringen, erzählt Lubitsch vor der Tür“, kommentiert Hüller, denn freilich sah das Publikum im Hollywood der Dreißigerjahre noch keine Sexszenen. Doch ebendieses Spiel mit Andeutungen zeichnete Lubitschs Stil aus: Zweideutigkeiten in der Sprache, elegante Übergänge in der Darstellung – etwa so anzüglich wie Reizwäsche, die nie alles preisgibt. Die Analysen der filmischen Techniken sind passgenau und nicht zu häufig platziert. Lubitsch sei zu „Weltgeltung“ gekommen, indem er wie kein anderer das Publikum habe für sich arbeiten lassen, heißt es. Die Lücken, die Lubitsch kunstvoll ausstellt, füllte die Phantasie der Zuschauer – und auch als Zuhörer ist man schnell geneigt, jene Szenen, die wir hören, in gedankliche Bilder zu gießen.
Liebschaften zu dritt
Als Zwischenspiel, bevor Müller in den nächsten Lubitsch-Film entführt, versammelt sie einige wenige biographische Stationen des Regisseurs. 1892 geboren als Sohn eines russisch-jüdischen Einwanderers, verbringt Lubitsch seine Lehrjahre fern von der Schauspielerei in der Berliner Konfektionsbranche zwischen Damenkleidern, findet aber bald darauf seinen Weg auf Kabarett- und Kleinkunstbühnen, bis er 1911 vom Deutschen Theater engagiert wird. Bereits wenige Jahre darauf drehte er seinen ersten eigenen Film, damals allerdings noch als Stummfilm.
Nachdem seine Historienfilme „Anna Boleyn“ und „Das Weib des Pharao“ auch international auf Resonanz stießen, folgte bereits 1922 der Umzug nach Hollywood, als erster europäischer Regisseur überhaupt. Als dann, gut zehn Jahre und 40 Stummfilme später, die Umstellung auf den Tonfilm folgte, konnte Lubitsch die Neuerung kaum erwarten. „Es ist der größte Fortschritt, den jeder Regisseur begrüßen muss“, und „der Stummfilm war keine völlig in sich abgeschlossene Kunstgattung“, erklärte Lubitsch 1932.
Nur ein Jahr nach „Ärger im Paradies“ steht mit „Serenade zu dritt“ (1933) noch einmal eine Dreiecksbeziehung auf Lubitschs Agenda. Sie wird von ihm auf eine Weise inszeniert, die auch heute noch äußerst progressiv wirkt. In der Komödie geht es um die Zeichnerin Gilda (abermals verkörpert von Miriam Hopkins), die sich in zwei Männer, Tom (Fredric March) und George (Gary Cooper), zugleich verliebt und partout nicht einsehen will, warum sie sich für einen der beiden entscheiden soll.
Weil keiner der Männer von Gilda ablassen will, entscheidet sich das Trio in einem Gentleman’s Agreement, wie sie es nennen, künftig platonisch zusammenzuleben und sich die Lust zu versagen – und scheitert sogleich. Gilda versucht unterdessen die Situation zu retten, indem sie einen dritten Mann heiratet und ein geordnetes Leben innerhalb der bürgerlichen Normen anstrebt. Doch das langweilt sie zutiefst. Also alles zurück auf Anfang, zurück zu Tom und George, ein neuer Versuch zu dritt. „Gilda küsst beide. Sie ist kein Gentleman“, so endet die Geschichte mit der Pointe, die Lubitschs Filme in ihrer Quintessenz trifft.
Die Ehe als Lustfeindin
Es ist dieses Geflecht aus Subtilität, Humor und gesellschaftskritischer Satire, das stets ein wenig verrucht daherkommt und den Zuschauer zum Komplizen macht, der „Lubitsch-Touch“ eben. Größen der Branche wie Marlene Dietrich verkörpern bald seine Rollen. All das, was Lubitschs Charaktere in ihrer Naivität und Gutgläubigkeit nicht zu verstehen in der Lage sind, begreifen wir als Zuschauer für sie.
Martina Müller gelingt es, das richtige Maß an Versatzstücken der Originalfilme und erklärendem Metatext zu arrangieren, um das Besondere der Lubitsch-Filme auch im Radioformat aufleben zu lassen. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, einer distanzierten Dokumentation zu lauschen. Viel eher meint man sich mitten im illustren Treiben der vornehmen Gesellschaft, die Lubitsch nur allzu gern ironisch porträtierte, zu befinden. Immer wieder lädt Müller ein, sich mit Lubitsch gemeinsam über bürgerliche Konventionen wie die Ehe als Lustfeind und Betrugsauslöser zu amüsieren.
Neben „Engel“, „Rendezvous nach Ladenschluss“ und „Sein oder Nichtsein“ gehört auch „Ninotschka“ (1939) zum Repertoire der Radiosendung. Vor den Dreharbeiten hatte Lubitsch Russland besucht und verarbeitete seine Erfahrung im Film über die gleichnamige Kommunistin (Greta Garbo).
Darin kommt Ninotschka als linientreue Kommissarin ins kapitalistische Paris und lässt sich auf eine Liebschaft mit dem Gespielen der Großfürstin ein, die sich während der Russischen Revolution aus dem Land stahl. Greta Garbo, die damals längst als leicht unterkühlte Diva der Stummfilmära eine feste Größe in Hollywood war, tat im Lubitsch-Film, was die Welt sie nie zuvor auf der Leinwand tun sah: Sie lachte. Mehr als einen Lacher schenkt auch Martina Müller ihren Zuhörern mit ihrer Adaption fürs Radio.
Ein Lacher ist nie zu verachten. Lange Nacht mit Filmen von Ernst Lubitsch läuft am 10. Februar um 00.05 Uhr bei Deutschlandfunk Kultur und in der Nacht vom 10./11. Februar um 23.05 Uhr bei Deutschlandfunk.
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