Musiker Al Kooper: Das Gedächtnis des Rock wird achtzig

musiker al kooper: das gedächtnis des rock wird achtzig

Al Kooper war als Gitarrist und Organist prägend.

Die Lebensausbeute des Rockmusikers Al Kooper war schon mit 30 Jahren so groß, dass er nicht mehr um jeden Preis überall mitmischen musste. Von da an hat der New Yorker aus der zweiten Reihe das Geschehen weiter beeinflusst. Kurz nach seinem ersten Nummer-Eins-Hit („This Diamond Ring“ von Gary Lewis and the Playboys) hatte er auf einem der größten Songs aller Zeiten („Like A Rolling Stone“) die dominante Orgelstimme gespielt, obwohl er eigentlich Sessiongitarrist war. Er war dabei, als Bob Dylan in Newport die E-Gitarre einstöpselte, was als Geburtsstunde des Folk Rock gilt.

musiker al kooper: das gedächtnis des rock wird achtzig

Bläser in die Rockmusik einzubinden war eine nachhaltig erfolgreiche Idee von Al Kooper.

Der als Alan Peter Kuperschmidt in Brooklyn geborene Musiker hatte die New Yorker Bluesrockpioniere The Blues Project angeführt, die erste Jazzrockband Blood, Sweat & Tears gegründet und den wesentlichen Teil ihres Repertoires auf ihrem ersten Album beigesteuert. Er hat Gitarrenheroen wie Mike Bloomfield, Stephen Stills und Carlos Santana zu legendären „Super Sessions“ eingeladen, Shuggie Otis und Lynyrd Skynyrd entdeckt (und produziert) und ein halbes Dutzend hörenswerter Soloalben zwischen Rock, Blues und R’n’B eingespielt.

„In dieser frühen Zeit war ich zu 90 Prozent Ehrgeiz und zu 10 Prozent Talent“, sagte Kooper einmal in einem Gespräch in seinem typischen US-amerikanischen Holzhaus in Boston, wo er vom Trubel des Rockzirkus seit den Anfangstagen eine Auszeit nimmt und durch seine Radiosendung „New Music for Old People“, seinen Podcast „Kooperkast“ und seine selten gewordenen Liveauftritte mit seinem Publikum im Austausch geblieben ist.

Denn tatsächlich ist Kooper einer der ganz frühen Rockpioniere. Schon als 12-Jähriger spielte er mit seiner Band am Wochenende die Top-40-Hits ihrer Zeit nach. Gelernt hatte er einst Klavier, doch nachdem er Elvis Presley hörte, stieg er auf die E-Gitarre um. Früh lernte er Gleichgesinnte wie Paul Simon und Art Garfunkel kennen. Einige Monate später stapfte er in das berühmte Brill Building in Manhattan und bot seine Dienste als Songwriter an. So tauchte er in die Hitfabrik ein und lernte wichtige Protagonisten der Musikszene kennen.

Der Schlüsselmoment des Lebens hat mit dem Vater zu tun

Parallel dazu trat Kooper weiter mit seinen Bands auf. Seinen Eltern erzählt er, er schlafe bei einem Freund. Eines Morgens wurde er um halb sechs in New Yorks Zentrum abgesetzt. Seine Eltern bat er, ihn abzuholen. Schließlich musste er mit dem Taxi nach Hause. Mit Gitarre und Verstärker in der Hand stieg er aus und sah erstmals der aufgehenden Sonne entgegen. In dem Moment verließ sein Vater, ein Anwalt, mit Aktenkoffer und Anzug das Haus. „Das war ein Schlüsselmoment in meinem Leben. Ich dachte, mein Vater wird vermutet haben, Marsmenschen müssten seinen Sohn entführt haben.“

Als er aber wenig später als Minderjähriger einen Vertrag in der Hitmanufaktur unterzeichnen sollte, waren die Eltern bereitwillig dabei. Die 90 Prozent Ambition müssen sich ihnen genauso vermittelt haben wie Bob Dylan, der Mitte der sechziger Jahre gerade dabei war, sein Image radikal zu wandeln: Vom nachdenklichen Folkie aus Greenwich Village zum internationalen Rockstar. Produzent Tom Wilson lud Kooper zur Aufnahmesession ein. Als er kurz am Telefon verschwand, setzte sich Sessiongitarrist Kooper an die Orgel. Er hatte eine Idee. „Glücklicherweise war sie noch angeschaltet. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie sie anging.“ Am Ende hörte Dylan die Aufnahme und forderte Wilson, die Orgel lauter zu drehen.

Wo auch immer Musikgeschichte geschrieben wurde in dieser Zeit, Al Kooper war nicht weit. Er spielte mit drei der großen Vier der Rockmusik auf entscheidenden Alben: Neben Dylan lieh er seine Tastenkunst den Rolling Stones („You Can’t Always Get What You Want“) und Jimi Hendrix auf seinem Meisterwerk „Electric Ladyland“. Nur die Beatles nahmen nicht mit ihm auf. Mit Brian Wilson trank er Kaffee, bei der Aufnahme von „Who’s Next“ war er nicht weit. Er begleitete B.B. King, unterstützte Moby Grape bei ihrem „Grape Jam“ und setzte den bald von Drogen zerrütteten Mike Bloomfield mit zwei musikalisch herausragenden „Super Sessions“ in Szene, auf denen er auch die beste Version von Donovans „Season of the Witch“ mit Stephen Stills einspielte.

Seine Kompositionen verbinden Rockaggressivität und Brill Building

Seine eigenen Kompositionen wie „I Can’t Quit Her“, „I Love You More Than You’ll Ever Know“, „My Days Are Numbered” oder „Flute Thing” verbanden aufs Vorbildlichste die Aggressivität der gerade erst erblühenden neuen Rockmusik mit der filigranen Songschreiberfertigkeit der bezahlten Fließband-Kunsthandwerker aus dem Brill Building: Seine Bläsersätze mit Finesse trieben ihn von The Blues Project (die sich das nicht leisten zu können glaubten) zu Blood Sweat & Tears. Nach vorn gerichtete E-Gitarren und unprätentiöser Gesang. Als er sich nach Aufnahme des ersten Albums der Jazz-Rocker mit seiner Frau von einigen Auftritten erholte, warfen ihn seine Mitstreiter heraus und ersetzten ihn durch den pathetischen David Clayton-Thomas, der fortan den Sound in Richtung Showmusik entwickelte.

All das konnte Kooper nur leisten, weil er in entscheidenden Phasen in den großen Musikmetropolen der Welt lebte: in New York, als sich Folk und Rock vermählten, in London, als das Superstarwesen entstand, in Atlanta, als der Southern Rock entdeckt werden konnte, und in Nashville in den Neunzigerjahren. „Nashville hatte pro Kopf die besten Musiker aller Städte, in denen ich je gelebt habe. Es war unfassbar, wer dort lebte und wie sie spielen konnten. So etwas habe ich nie zuvor gesehen.”

Mit den Jahren wandelte sich das Verhältnis von Ambition, Talent und Erfahrung. Al Kooper wurde eine Art Elder Statesman und durch die vielen Erlebnisse zu einem Gedächtnis des Rock, wie in seiner erstmals 1977 aufgelegten und zuletzt als „Backstage Passes and Backstabbing Bastards: Memoirs of a Rock ‘n’ Roll Survivor“ aufgelegten Autobiographie nachzulesen ist. Vom Studiomusiker zum Produzenten, vom Soloperformer über den Radiomoderator, vom A&R-Manager bis zum wortgewandten Chronisten hatte er fast alle Jobs, die das Business bereithält. Im vergangenen Jahr wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame in der Kategorie Award for Musical Excellence aufgenommen. An diesem Montag wird er achtzig Jahre alt.

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