Hertha-BSC-Ultra zu Fanprotesten: »Wie ein Tsunami, in dem man versucht gegen den Strom zu schwimmen«

Der Streit über den Investoreneinstieg in der Bundesliga eskaliert. Hier spricht der Vorsänger der Hertha-Ultras Harlekins, »Kreisel«, über die Beweggründe der Fans. Und er erklärt, wovor die Anhänger Angst haben.

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Hertha-BSC-Ultra zu Fanprotesten: »Wie ein Tsunami, in dem man versucht gegen den Strom zu schwimmen«

SPIEGEL: Herr »Kreisel«, die Hertha-Fans haben im Spiel gegen den HSV für eine halbstündige Unterbrechung gesorgt, indem sie Tennisbälle auf den Rasen beförderten. Sie sind der Vorsänger der Berliner Ultragruppierung Harlekins. Haben Sie selbst mitgeworfen?

Kreisel: Nein, ich selbst nicht. Durch meine Funktion in der Kurve würde das auf verschiedenen Ebenen keinen Sinn ergeben.

SPIEGEL: Der Aktion gingen wochenlange Protestformen, wie Schokotalerwürfe und Schweigen voran, doch dieses Mal war es anders. Die Harlekins schrieben im anschließenden Statement: »An kurze Proteste und kurze Unterbrechungen hat man sich scheinbar schnell gewöhnt in Deutschland.« Kann man sich darauf einstellen, dass es künftig vermehrt längere Unterbrechungen oder vielleicht auch Abbrüche geben wird?

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Kreisel: Das würde ich offen lassen, ich spreche ja auch nicht für alle Fanszenen. Klar ist: Der Protest ist nicht vorbei. Zum jetzigen Zeitpunkt hat man ja noch nichts erreicht, außer, dass etwas mehr über die Proteste gesprochen wird. Die leichteren Protestformen, etwa das Schweigen, haben ja kaum Aufmerksamkeit erzeugt. Persönlich wünsche ich mir, dass die Proteste weitergehen, bis unser Anliegen endlich ernst genommen wird.

SPIEGEL: Hertha-Trainer Pál Dárdai und Torhüter Marius Gersbeck haben während des Protests mit Ihnen gesprochen. Was haben sie gesagt?

Kreisel: Beide waren verständnisvoll. Wir kennen uns ja auch schon länger, Marius war Teil der Fanszene. Pál Dárdai hat gefragt, wie lange es noch gehen soll und ob wir einen Abbruch wollen. Das Gespräch war respektvoll und friedlich, auch wenn es in der Gestik vielleicht nicht so aussah. Das liegt tatsächlich daran, dass man im Stadion laut sprechen muss und dies untermalt man oftmals durch Gestik. Wir haben klargemacht, dass es um eine Sache geht, die größer ist als ein einzelnes Spiel.

SPIEGEL: Hertha-Geschäftsführer Thomas Herrich sagte später, er habe »totales Verständnis«, allerdings kritisierte er die »Art und Weise«: »Das ging mir deutlich zu lange«, sagte er. Wie gehen Sie mit dieser Reaktion um?

Kreisel: Das war völlig legitim, er hat professionell geantwortet. Tom hat eine Funktion, in der er die Vereinsseite vertritt. Der Geschäftsführer muss sich hauptsächlich mit vielen anderen Themen beschäftigen, als es die Fankurve tut. Wir hielten die Dauer des Protests für notwendig – und dass es erfolgreich war, zeigt ja auch der Fakt, dass wir jetzt miteinander sprechen.

SPIEGEL: Weniger Verständnis zeigten teilweise andere Fans im Stadion, aber auch einige Medien.

Kreisel: Ich weiß ja, dass es auch Fans gab, die gepfiffen haben, die Fußball sehen wollten, die durchgefroren waren, denen alles zu spät wurde und die irgendwann die Bahn nach Hause erwischen mussten. Aber ich hoffe, viele davon können grundsätzlich etwas mit unserem Anliegen anfangen oder haben das zum Anlass genommen, sich zu informieren.

SPIEGEL: Und die Medienberichte?

Kreisel: Ich habe mich jetzt mal mehr mit dem Medienspiegel befasst, als ich es sonst tue. Und ich war überrascht, wie differenziert und fundiert viele Artikel und Podcasts zu dem Thema sind und wie ernsthaft sich mit dem Thema befasst wird. Dass es auch Boulevardartikel mit »Chaoten«-Überschriften gibt, da konnte man sich drauf einstellen. Solche Artikel verkaufen sich bedauerlicherweise besser und erfordern weniger Denkaufwand beim Leser.

SPIEGEL: Es gibt aber auch unbestreitbar negative Auswirkungen des Protests für den Verein: Hertha muss jetzt wahrscheinlich eine Strafe zahlen. Falls ein Spiel abgebrochen werden sollte, drohen noch härtere Sanktionen. Sind das für Sie notwendige Folgen?

Kreisel: Erst mal: Ich finde viele Strafen fragwürdig. Aber es gibt sie nun einmal und uns war auch klar, dass Hertha eine kassiert, wenn wir das Spiel unterbrechen. Der Kollateralschaden ist bei unserem klammen Verein natürlich äußerst ungünstig und es tut uns auch weh, wenn Hertha Strafen zahlen muss. Wir gehen dahin, weil wir Hertha lieben. Aber im Sinne eines Fußballs, der vereinsorientiert bleiben soll, war es das wert – auch wenn es bis hierhin noch nicht für jedermann nachvollziehbar sein wird.

SPIEGEL: Welche Entwicklung des Fußballs befürchten Sie, sollten Sie mit ihrem Protest nicht erfolgreich sein?

Kreisel: Die Spirale wird sich, wie in anderen Ligen, weiterdrehen, rote Linien werden überschritten. Spiele werden an Orten stattfinden, wo Geld keine Rolle spielt, oder zu einer Anstoßzeit angesetzt, die beispielsweise eine gute Übertragung in China garantiert. Der Fußballfan hat dann keine Chance mehr, seine Mannschaft im Stadion zu unterstützen. Die Eintrittskarten werden teurer, Stehplätze könnten verboten werden. Die verantwortlichen und handelnden Personen möchten das Produkt Fußball am liebsten nur noch für den Fernsehzuschauer herrichten. Wenn irgendjemand mit viel Geld wedelt, dann werden auch diejenigen einknicken, die das jetzt ausschließen.

SPIEGEL: Was müsste die DFL machen, damit Sie mit den Protesten aufhören?

Kreisel: Es gab eine Wahl, in der die Mehrheit der Klubs gegen einen Investor abgestimmt hat. Dann gab es die undemokratische, geheime zweite Wahl. Diese müsste mindestens wiederholt werden, offen und transparent, damit man genau weiß, wie die Leute abstimmen. Und grundsätzlich wäre es wichtig, das Gefühl zu vermitteln, dass der Fußballfan mit seiner Meinung ernst genommen wird.

SPIEGEL: Was meinen Sie damit konkret?

Kreisel: Man kann nicht mitreden. Es ist wie ein Tsunami, in dem man versucht, gegen den Strom zu schwimmen. Das Fußball-Business ist zu mächtig und der Fan bekommt ein Ohnmachtsgefühl vermittelt. Es wird dann immer gesagt, der normale Fußballfan würde nichts von den wirtschaftlichen Hintergründen verstehen. So kann nun mal kein Vertrauen entstehen, die Fußball-Bosse sind für uns unglaubwürdig.

SPIEGEL: Woran machen Sie das fest?

Kreisel: Sie haben kein Interesse, sich mit dem Fan aus der Kurve auseinanderzusetzen, der zwar eine Eintrittskarte bezahlt, aber nicht mehrere TV-Bezahlabos abschließt. Das Fan-Dasein findet im Stadion statt, wir gestalten dieses Erlebnis maßgeblich mit. Wir sind keine Randnotiz im gesamten Fussballzirkus. Vielmehr sind wir die Basis dessen, welche sich derzeit gegen die drohende Entwicklung zu wehren versucht und den Fußball vor dem totalen Ausverkauf sämtlicher Werte und Emotionen schützen möchte.

SPIEGEL: Wolfsburg-Profi Maximilian Arnold sagte, dass die Proteste ja im Gegensatz zu den Klimaaktivisten keine Krankenwagen blockieren. Wenn man die Entwicklung der Klimakleber verfolgt, sieht man, dass am Ende sogar anfängliche Unterstützer genervt waren. Glauben Sie nicht, dass bei weiteren Spielunterbrechungen oder gar Abbrüchen schnell Verständnis verspielt ist?

Kreisel: Auch ich muss morgens zur Arbeit und auch ich saß wütend im Auto, als ich wegen der Klimakleber oder Streiktraktoren nicht vorankam. Aber ich muss zugeben, dass ich mich im Nachhinein mehr mit den Themen auseinandergesetzt habe als vorher. Es hat bei mir bewirkt, über die Anliegen nachzudenken – auch wenn ich extrem genervt war. Letztlich hält man es aus.

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