Youtuber Ross Scott: Der Anwalt der Gamer

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Ross Scott

Ross Scott hätte wohl Besseres zu tun. Sein Geld verdient der in Polen ansässige Amerikaner eigentlich mit Videos zu Computerspielen auf seinem Youtube-Kanal „Accursed Farms“. Dort verleiht er dem stummen Protagonisten der Videospielreihe „Half-Life“ einen komödiantischen inneren Monolog oder stellt obskure Spiele von ganz unten aus der Mottenkiste vor. Der große Traum des 41 Jahre alten Youtubers ist es, einen animierten Science-Fiction-Film zu drehen.

Aber derzeit wird seine gesamte Aufmerksamkeit von einem Projekt eingenommen, das Millionen von Spielern, Kunden und deren Geldbeutel betrifft. In seinen Augen werden sie schlicht beraubt. „Keine andere Branche kann sich so etwas mit ihren Produkten erlauben“, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z.

Scott ärgert sich über Onlinespiele, für die Kunden einen festen Betrag bezahlen, die aber nach Ablauf einer gewissen Zeit vom Hersteller oder Verleger abgeschaltet werden. Das Produkt wird unbenutzbar gemacht, und die Spieler sind ihr Geld los, meist ohne Alternativen.

„Stoppt die Zerstörung von Videospielen“

Deshalb hat Scott Anfang April seine Initiative „Stop Killing Games“ („Stoppt die Zerstörung von Videospielen“) ins Leben gerufen. Auf der Internetseite der Initiative ruft er dazu auf, je nach Land einerseits Petitionen zu unterschreiben, die in den jeweiligen Parlamenten diskutiert werden sollen. „Das sind nicht Petitionen, die ein paar Leute unterschreiben, um zu zeigen, dass sich jemand für das Thema interessiert“, sagt er in seinem Youtube-Video zur Initiative. Die Aktionen werden stattdessen offiziell von den Petitionsstellen der Parlamente geprüft und warten auf ihre Zulassung zur Unterschriftensammlung. Andererseits sollen Interessierte ihre Verbraucherschutzbehörden anrufen, um die Praktik zu hinterfragen.

Gerade in Deutschland und Frankreich erhofft sich Scott Resonanz. Die Länder sind jeweils die fünft- und siebtgrößten Märkte für Videospiele auf der Welt. Laut dem Analyseportal Newzoo ist der Videospielemarkt mit 184 Milliarden Dollar Umsatz der größte Markt für Unterhaltungsprodukte, größer als Film, Musik oder TV. In Deutschland wurden 2023 fast 10 Milliarden Euro mit Spielen und Spielehardware umgesetzt.

Widerstand gegen Internetpflicht

Seit etwas mehr als zehn Jahren programmieren Entwickler und Verleger Spiele zum Teil in einer Weise, die Internetverbindungen verlangt – auch solche, die ohne gespielt werden können. Das kann verschiedene Gründe haben: Oft dient die Anbindung an offizielle Server dem Kopierschutz. Ein Server des Herstellers kann über das Internet feststellen, ob der Spieler auch eine legitime Kopie des Spiels gekauft hat. Oft sind es auch Spielekomponenten, die Informationen von einem Server brauchen, um ein Spiel zum Laufen zu bringen.

Widerstand unter Spielern gegen solche Immer-Online-Spiele regte sich 2012 zum Beispiel gegen das Spiel „Diablo III“ von Activision Blizzard oder die 2013 erschienene Konsole Xbox One von Microsoft. Während Microsoft unter dem Druck der Spielergemeinschaft einknickte und die Konsole auch ohne Internetverbindung lauffähig machte, konnte und kann „Diablo III“ nur mit einer laufenden Verbindung gespielt werden. Diesem Weg folgen immer mehr Spiele.

Auch das 2014 erschienene „The Crew“ des französischen Entwicklers und Verlegers Ubisoft benötigte eine dauerhafte Verbindung zu den Servern von Ubisoft. Diese hat das Unternehmen nun nach zehn Jahren Betrieb am 1. April abgeschaltet. Die Ankündigung hierzu erfolgte im Dezember 2023. Nach eigenen Zahlen von Ubisoft hatte „The Crew“ bis 2019 rund 21 Millionen Spieler angelockt. Diese haben keinen Weg, ihr gekauftes Produkt weiter zu verwenden. Zur Erscheinung kostete das Spiel 70 Euro. Nur Spieler, die das Spiel kürzlich gekauft haben, können auf eine Erstattung hoffen.

Anliegen bisher oft ignoriert

„The Crew“ ist damit auch das Produkt und Ubisoft der Hersteller, über die sich Spieler bei Verbraucherschutzzen­tralen und in den Petitionen beschweren sollen. Dass Ubisoft seinen Sitz in Frankreich hat, sei ein Glücksfall, sagt Scott. „Frankreich hat eine Gesetzgebung, die zeigt, dass die Mentalität im Land sehr stark im Sinne der Verbraucher ist“, sagt er. Gleichwohl meint er, dass sein Anliegen bisher in vielen Ländern ignoriert wurde und die Gesetzgebung dazu oftmals unklar sei. Ziel von Scotts Initiative ist es, Fälle wie die von „The Crew“ zu verhindern. Spiele, für die ein fester Preis bezahlt wurde, sollen den Spielern in einem nutzbaren Zustand hinterlassen werden, wenn Entwickler und Verleger den Onlinedienst nicht mehr bereitstellen können oder wollen.

„Ich plädiere nicht dafür, dass die Hersteller ihre Spiele für immer mit eigenen Ressourcen unterstützen müssen“, sagt Scott. Dieser Punkt werde immer falsch interpretiert. Vielmehr gehe es darum, dass Spielehersteller in Zukunft eine Möglichkeit in ihre Spiele einbauen, die es erlaubt, sie unabhängig vom Verleger weiterzubetreiben. „Es geht nicht um ‚The Crew‘ oder Ubisoft“, sagt Scott in seinem Video. Es gehe darum, eine Schwachstelle in der Branche zu finden, damit Regierungen sich diese Praktik ansehen und Verleger daran hindern, „unsere Spiele zu zerstören“. Ubisoft wollte sich auf Anfrage nicht zu dieser Sache äußern.

Wir setzen auf Populismus“

„Wir setzen auf Populismus“, sagt Scott, der keine Investorengelder für eine groß angelegte Lobbykampagne zur Verfügung hat, sondern einzig seinen Youtube-Kanal mit 340.000 Abonnenten und das Internet, das seine Initiative weiterverbreiten soll. „Einige Dutzend“ Freiwillige unterstützen ihn regelmäßig mit Recherchen und Anfragen an Verbraucherschutzbehörden in den verschiedenen Ländern.

Der Einzige, der sein Gesicht für die Initiative hergibt, ist aber Scott. Er ist seit fast 17 Jahren an verschiedenen Stellen des Internets mit seinen Videos unterwegs, seine Serie „Freeman’s Mind“ gilt unter Fans der Spielreihe „Half-Life“ als Kultklassiker. Aufgewachsen in den 1990er-Jahren, vor allem mit Computerspielen, hegt er eine ­Passion für Spielekuriositäten. In seiner Serie „Game Dungeon“ stellt er regelmäßig Spiele vor, die von der Welt vergessen worden zu sein scheinen. So ist er auch als eine Art Archivar zu sehen, der sich für den Erhalt alter Spiele einsetzt.

„Jahrzehnte angestauten Grolls gegen die Branche“

Hieraus rührt auch seine Abneigung gegen eine Spielebranche, die ihre Spiele mit Sollbruchstellen wie einer dauerhaften Internetverbindung ausstattet. So hinterfragt er schon länger, ob Spiele als Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden. Solche Spiele, die kostenlos gespielt werden können oder für eine monatliche Gebühr angeboten werden, dürften nicht von Scotts Aktion betroffen sein. Der Begriff „Dienstleistung“ könnte hier greifen. Schon 2019 brachte er eine Initiative auf den Weg, die eine solche Praktik untersucht und als Betrug bezeichnet hat. Damit kam er vor amerikanischen Gerichten aber nicht weit.

Scott ist allerdings davon überzeugt, dass Spiele mit einem Kaufpreis als Produkt zählen – und diese dürfe man nicht so einfach den Käufern wieder wegnehmen. „Bei dieser Angelegenheit habe ich Jahrzehnte angestauten Grolls gegen die Branche“, sagt er in seinem Video zur Aktion.

Der deutsche Europaparlamentsabgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei pflichtet Scott bei. Über soziale Medien sei er dazu aufgefordert worden, sich zum Fall von „The Crew“ und Scotts Vorhaben zu äußern, sagte Breyer der F.A.Z. Er sieht in der Praktik von Ubisoft einen potentiellen Verstoß gegen EU-Verbraucherschutzrecht. Dieses sehe vor, dass Hersteller Software nicht derart kurzfristig abschalten können. Stattdessen müssen sie weit genug vorher die Abschaltung ankündigen und für eine gewisse Zeit noch Updates bereitstellen.

Nun läuft von Breyer eine Anfrage an die EU-Kommission, die überprüfen soll, ob das Vorgehen von Ubisoft mit EU-Recht vereinbar ist. Zudem soll geklärt werden, welche Stellen das Recht überwachen müssen. Sollte seine Anfrage ergeben, dass Ubisoft gegen geltendes Recht verstößt, hofft Breyer, dass sich „die restliche Branche auch künftig an die Regeln halten wird.“ Ubisoft will sich nicht zu dem Vorgang äußern, sagte eine Sprecherin der F.A.Z.

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