EU-Gipfel: Pragmatischer Haushalt mit einer Unbekannten

eu-gipfel: pragmatischer haushalt mit einer unbekannten

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche

Zumindest aus Brüssel bleiben Bundesfinanzminister Christian Lindner schlechte Nachrichten für den Haushalt erspart. Die Gipfeleinigung der 26 – alle Staaten außer Ungarn – zum EU-Budget lässt vom viel zu langen Wunschzettel der Europäischen Kommission wenig übrig. Unantastbar blieb nur, was unantastbar bleiben musste: die Ukrainehilfen. Alles andere hat EU-Ratspräsident Charles Michel stark gekürzt.

Die „sparsamen“ EU-Mitgliedstaaten haben sich durchgesetzt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds hat SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz in diesem Fall sogar geholfen. Konnte er so doch glaubwürdig argumentieren, dass der größte Beitragszahler Deutschland (sich) momentan nicht mehr leisten kann.

Herausgekommen ist ein – wohlwollend mit Scholz gesagt – „guter und pragmatischer“ Haushalt. Das gilt zumindest für die Finanzierungsseite. Die EU-Kommission hatte 65,8 Milliarden Euro frisches Geld für die verbleibenden Jahre des Finanzrahmens 2021 bis 2027 gefordert. Davon bleiben nur noch 21 Milliarden Euro. Ein Fünftel davon zahlt Deutschland.

Ein vertagtes Problem

Rechnet man die Ukrainehilfen her­aus, geht es insgesamt nur noch um etwas mehr als 5 Milliarden Euro frisches Geld und damit 1 Milliarde für den FDP-Finanzminister in Berlin. Im Verhältnis zu dem Gesamtbudget von 1,2 Billionen Euro für 2021 bis 2027 ist das kaum der Rede wert.

Zur Ehrlichkeit gehört, dass es in der Rechnung eine große Unbekannte gibt: die Zinskosten für den 800 Milliarden Euro umfassenden Corona-Fonds. Die Kommission hatte für die im Zuge der Inflation stark gestiegenen Zinsen einen Nachschlag von 18,9 Milliarden Euro gefordert. Die höheren Zinskosten sollen nun soweit möglich aus dem laufenden EU-Budget finanziert werden.

Erst wenn das, was leider wahrscheinlich ist, nicht genügt, sollen andere Gelder herangezogen werden – was die nationalen Haushalt dann doch direkt oder indirekt belastet. Dieses Problem ist letztlich nur vertagt.

Den Rotstift an den richtigen Stellen angesetzt

Ansonsten hat Michel an den richtigen Stellen den Rotstift angesetzt und zumindest etwas Geld im Budget zur Finanzierung der verbleibenden Aufgaben umgeschichtet. Die Kommission hatte ihre Wunschliste mit Aufgaben begründet, die unabsehbar waren, als die EU den Finanzrahmen 2021 bis 2027 beschlossen hat.

Richtig ist das im Fall des Ukrainekriegs. Niemand konnte den Angriff Russlands vorhersehen. Niemand außer Ungarn stellt infrage, dass die EU Kiew helfen muss, laufende Kosten und Wiederaufbau zu finanzieren – und von den 50 Milliarden Euro Hilfen sind 33 Milliarden nur Kredite.

Schwer vorherzusehen waren vielleicht auch die steigenden Zinskosten des Corona-Fonds. Nicht so klar ist das Bild, wenn es um die beiden anderen großen Posten auf der Wunschliste der Kommission geht: die Zunahme der Migration und die „grüne Indus­triepolitik“, um mit China und den USA mithalten zu können.

Wer immer nur mehr Geld fordert, macht es sich zu einfach

Selbst wenn man glaubt, dass die EU für diese Aufgaben Geld benötigt, bieten die zweifelhaften Agrar- und Strukturhilfen, die die EU-Staaten ohnehin nicht sinnvoll ausgeben können, dafür genug Spielraum im Haushalt. Hier hätten sich Abermilliarden umschichten lassen, auch zur Finanzierung der Zinskosten des Corona-Fonds. Das zumindest vorzuschlagen hätte der Glaubwürdigkeit der Kommission gutgetan.

Wer immer nur mehr Geld fordert, das dann andere bereitstellen müssen, macht es sich zu einfach. Das gilt auch für die EU-Abgeordneten von den Grünen bis zur CDU, die nun Krokodilstränen über die ach so geizigen Staaten vergießen.

Michel hat durch kleine Umschichtungen immerhin 10 Milliarden Euro für Migration und Westbalkan zusammengekratzt. Beim Umschichten hätte er gerne noch etwas mehr Ehrgeiz entwickeln dürfen. Die neuen Mittel für die Träumereien einer grünen Industriepolitik hat er richtigerweise ebenso auf null gesetzt wie die zusätzlichen Personalausgaben.

All das steht so lange unter Vorbehalt, wie der 27. Staat, Ungarn, nicht zustimmt. Scholz gab sich nach dem Gipfel zwar zuversichtlich, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Januar nachgibt. Auch er kann aber nicht beantworten, warum „etwas Zeit“ dafür ausreichen soll.

Dazu ist zu unklar, was Orbán umtreibt. Will er „nur“ die 20 Milliarden Euro EU-Mittel freipressen, die wegen Rechtsstaatsverstößen eingefroren sind? Oder will er der Ukraine und/oder der EU schaden? Die EU sollte sich besser darauf vorbereiten, die Ukrainehilfen außerhalb des EU-Budgets ohne Ungarn zu finanzieren. So wie sie auch ansonsten allmählich ernsthaft prüfen sollte, ob sie nicht ohne Ungarn besser dran wäre.

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