Am männerdominierten Chemiestudium gescheitert: "Ich wurde für meine Experimente ausgelacht"

Es gibt zu wenige Frauen in Mathematik, Technik und Naturwissenschaften. Ariane Smie war eine von ihnen. Sie fühlte sich in ihrem Chemie-Studiengang als Frau aber so unwohl, dass sie abbrach. Wie es anders gehen kann.

Der Anteil weiblicher Studentinnen in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik in Sachsen steigt zwar, ist deutschlandweit gesehen jedoch niedrig. © dpa/Klaus-Dietmar Gabbert (Symbolfoto)

Von Antonia Röhrer

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Dresden. Wenn sie Hilfe brauchte, ist sie immer zu anderen Frauen gegangen. Als Ariane Smie 2022 ihr Chemie-Studium an der TU anfing, hatte sie Lust auf Versuche, wollte in die Forschung gehen. Doch die Lust verging schnell: “Es gab teilweise Tutoren, die mich für meine Experimente ausgelacht haben, die mir das Gefühl gegeben haben, dass das, was ich gerade gemacht habe, schlecht und dumm wäre.” Ariane fühlte sich als Frau im männerdominierten Studiengang nicht wohl. Nach weniger als drei Monaten brach sie das Studium ab.

Früher Chemie, heute Psychologie: Ariane Smie hat ihr Studienfach gewechselt. © Antonia Röhrer

Damit ist sie nicht allein: Auch einige ihrer Freundinnen wechselten kurz danach den Studiengang. Und viele Frauen in Sachsen fangen ein Studium im MINT-Bereich gar nicht erst an. MINT, das steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Die TU Dresden versucht, das zu ändern. Neben dem “Girl’s Day”, dem “Frauen-Umwelt-Netzwerk” und vielen weiteren Angeboten für Studentinnen rief die Universität vor einem halben Jahr die AG “Girls for Robots” für Schülerinnen ins Leben. Doch es braucht mehr als das: gesellschaftliches Umdenken.

Zwölfjährige programmiert Roboter

Das passiert bereits bei “Girls for Robots”. Die zwölfjährige Adele positioniert Jenga-Spielbausteine aus Holz vor sich, parallel in einer Reihe. Die heutige Aufgabe in der AG: Den Roboterarm so programmieren, dass er die Holzklötze greift und im Viereck stapelt, als würde er Palletten aufeinanderlegen. Adele rückt den Roboterarm mit ihrer Hand in Position und stellt diese auf dem Tablet daneben als ersten Schritt ein. “Informatik ist eins meiner Lieblingsfächer”, sagt sie. Mit ihren Fingern, die noch voll Tinte vom Schultag sind, probiert sie verschiedene Einstellungen aus, “Mist, so klappt das nicht”. Sie versucht es nochmal.

Jenga für Fortgeschrittene: Schülerin Adele versucht, die Steine im Viereck zu stapeln – mithilfe eines Roboterarms. © Antonia Röhrer

Adele kam durch einen Informatik-Wettbewerb zum Programmieren, jetzt ist sie jede zweite Woche dabei, 90 Minuten dauert die AG. Bis zu zehn Schülerinnen pro Gruppe können mitmachen. Insgesamt 20 Schülerinnen nehmen regelmäßig an der AG teil. Mindestalter zwölf Jahre. 350.000 Euro hat das Projekt gekostet, den Großteil davon finanziert das Sächsische Kultusministerium. Anna Unger und ihre Kolleginnen leiten die AG. Sie sagt: “Solche Angebote rein für Frauen geben einen ganz anderen Raum für Austausch”. Die Atmosphäre sei vertrauter.

Weniger als ein Drittel der sächsischen Studenten im MINT-Bereich waren vergangenes Jahr weiblich. Damit ist Sachsen so weit wie ganz Deutschland vor etwa zehn Jahren. Ein Grund, warum Frauen sich seltener für MINT-Studiengänge entscheiden, ist die Selbsteinschätzung, so das Ergebnis einer Studie der Uni Bamberg. Mädchen und Jungen seien in Mathe gleich gut, die Mädchen aber oft in Deutsch noch besser bewertet – daraus schlössen sie, Mathe läge ihnen weniger, sagen die Wissenschaftler.

“Umgangston, mit dem man sich arrangieren muss”

Laut Kristin Paetzold-Byhain spielen auch gesellschaftliche Strukturen eine Rolle. Sie ist Professorin für Virtuelle Produktentwicklung an der TU. “Auf der einen Seite wird einem beigebracht: ‘Stell dich hinten an, die Jungs zeigen dir, wie das geht.’ Auf der anderen Seite gibt es im Studium mit so vielen Männern auch einen anderen Umgangston, mit dem man sich arrangieren muss”, sagt die Professorin. Sie ist eine von nur vier weiblichen Professorinnen der insgesamt 50 Professoren in der wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktentwicklung. Um die zehn bis zwölf Prozent ihrer Studierenden seien weiblich. “Projekte wie ‚Girls for Robots‘ braucht es unbedingt. Man sollte sogar früher ansetzen, gerne schon im Kindergarten.”

Als Professorin für Virtuelle Produktentwicklung an der TU Dresden ist Kristin Paetzold-Byhain eine der wenigen Frauen am Lehrstuhl. © Antonia Röhrer

“Sicherheitsstopp”. Eine Warnung ploppt auf Adeles Bildschirm auf. Gerade hat die Schülerin den Roboter ein Stück zu weit nach unten bewegt, er ist auf die Tischplatte gestoßen. Fast hat sie es geschafft, ihn richtig zu programmieren. Sie ist weiter gekommen als die anderen Schülerinnen. Doch die 90 Minuten sind jetzt vorbei, in zwei Wochen kann Adele es nochmal versuchen. Ob sie mal Informatik studieren will, weiß sie noch nicht. Aber die AG macht ihr Spaß, sie will auch nächstes Jahr wieder mitmachen.

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Ariane Smie, die ihr Studium an der TU abgebrochen hat, wollte eigentlich immer in der Chemie forschen. “Manchmal denke ich mir, ich hätte mich mehr zusammenreißen sollen”, sagt sie heute. Mittlerweile ist sie 20 Jahre alt und studiert im dritten Semester Psychologie an der Internationalen Hochschule. Die Atmosphäre gefalle ihr besser. An der TU hatte Smie überwiegend männliche Kommilitonen, jetzt sitzt sie fast nur mit Frauen in der Vorlesung. Forschen will sie immer noch. Nun wird es wahrscheinlich Neuropsychologie.

Der Autorin ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. und im Rahmen eines Ausbildungsseminars zu Lokaljournalismus in Dresden. In dem Programm lernen die Geförderten das journalistische Handwerk parallel zu ihrem Studium und werden finanziell unterstützt.

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