INTERVIEW - Der Zuger Finanzdirektor zu den Ansprüchen an seinen reichen Kanton: «Es gibt Neidgenossen, die wollen, dass der Kanton Zug immer mehr zahlt»

interview - der zuger finanzdirektor zu den ansprüchen an seinen reichen kanton: «es gibt neidgenossen, die wollen, dass der kanton zug immer mehr zahlt»

«Sparen ist kein Punkteschiessen, sondern eine strukturelle Aufgabe»: Heinz Tännler, Finanzdirektor des Kantons Zug. Christoph Ruckstuhl / NZZ

Sein Büro liegt im fünften Stock eines Hochhauses, in dem auch ein Schnellrestaurant, Anwälte und ein Fitnesscenter ihre Adresse haben. Der Standort ist Programm: Von hier aus führt Heinz Tännler, SVP-Regierungsrat seit dem Jahr 2007, die Finanzgeschäfte des reich gewordenen Kantons Zug. In hohem Tempo erledigt er Anträge, weist er Rekordergebnisse aus. Auch im Interview macht er Dampf, etwa dem Kanton Zürich – und als wir ihm das Transkript zur Autorisierung schicken, kommt es nach kurzer Zeit zurück. Handschriftlich hat Tännler einige wenige Korrekturen gemacht, «ohne den Inhalt abzuschwächen», wie er schreibt.

Herr Tännler, der Kanton Zug hat für 2023 einen Gewinn von 461 Millionen Franken ausgewiesen. Knacken Sie dieses Jahr die Halbe-Milliarde-Marke?

Ich bin kein Hellseher. Ich weiss nur, dass wir erneut gut unterwegs sind, was nicht selbstverständlich ist. Denn wir haben die Bürger gerade wieder entlastet, unter anderem mit Steuersenkungen. Eigentlich bringt das Mindereinnahmen von rund 130 Millionen Franken für die Staatskasse, aber dieses Geld ist schon wieder eingespielt. Das stellt die Finanzverwaltung aufgrund der Liquiditätseingänge fest.

Ist der Kanton Zug eine Geldvermehrungsmaschine? Sie senken die Steuern, und trotzdem sprudeln die Einnahmen.

Nicht Zug ist eine Geldvermehrungsmaschine, wenn schon sind es unsere international erfolgreichen, substanzstarken Unternehmen sowie die natürlichen Personen. Wir sind nicht fokussiert auf eine Branche, sondern haben einen guten Mix aus Finanzdienstleistern, Chemie, Industrie und nicht zuletzt dem Rohstoffbereich. Auch in den vergangenen Krisenjahren zeigten unsere Unternehmen erstaunlicherweise keine Schwächen. In der Politik schauen wir vor allem, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass sie arbeiten können.

Und jetzt kommt noch die OECD-Mindeststeuer dazu. Der Kanton Zug muss die Steuern für Unternehmen erhöhen.

Ja, weil die Mindeststeuer ab diesem Jahr gilt, haben unsere internationalen Unternehmen teilweise Strukturbereinigungen vorgenommen, die auch zu diesem guten Ergebnis beigetragen haben.

Sie haben sich fit gespart.

Ja, in den Jahren 2014 bis 2018, und das hat nachhaltig zu weiteren positiven Effekten auf unsere Rechnung geführt.

Wie wird sich die OECD-Mindeststeuer langfristig auswirken?

Konservativ geschätzt, werden wir pro Jahr netto 200 Millionen Franken mehr einnehmen. Die Regierung will dieses Geld aber zurückgeben und damit den Standort stärken: Wir werden Kitas und den Wohnungsbau fördern – da haben wir Bedarf, teilweise finden nicht einmal unsere Fachkräfte eine Wohnung in Zug. Zudem fliesst das Geld in Innovation und Bildung und zurück in die Wirtschaft.

Zug kann sich also viel leisten. Wecken die guten Ergebnisse auch Begehrlichkeiten?

Es gibt Neidgenossen, die wollen, dass der Kanton Zug immer mehr zahlt. Dies haben wir bei der Diskussion über die OECD-Mindeststeuer gesehen. Deren Mehreinnahmen sollten überall hin verteilt werden. Und das erleben wir momentan auch mit unserem Nachbarkanton Zürich. Dort hat der Finanzdirektor, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe . . .

. . . Ihr SVP-Kollege Ernst Stocker . . .

. . . über die Zentrumslasten geklagt, die Zürich zu tragen habe. Er spricht von netto 100 Millionen Franken für Hochschulen oder das Opernhaus. Sofort bringt er die üblichen Verdächtigen ins Spiel: Zug und Schwyz. Wir sollen an diese angeblich ungedeckten Kosten mehr leisten. Ich plausibilisiere jetzt erst einmal die Berechnungen von Zürich.

Was machen Sie, wenn die Berechnungen stimmen?

Zürich hat ein Budget von 18,8 Milliarden Franken, da sind 100 Millionen eher ein Rundungsfehler! Deshalb dürfen wir nicht gleich am nationalen Finanzausgleich herumschrauben. Ich bin jedoch bereit, das Ganze bilateral mit Zürich anzuschauen. In Zug sind wir bereit, Zürcher Leistungen fair zu entgelten.

Wo erleben Sie diese Neidgenossenschaft sonst noch?

Auch in der Finanzdirektorenkonferenz zeigt man sofort auf den Klassenprimus. Wenn es um den Finanzausgleich geht, schont man die starken Kantone und insbesondere Zug nicht. Überall hat man das Gefühl, wir könnten noch mehr in den Topf einzahlen.

Könnten Sie das nicht? Tatsächlich kann der Eindruck entstehen, Zug bereichere sich auf Kosten von anderen Kantonen, die viel in Infrastruktur oder die Sozialhilfe investieren müssen.

Was heisst hier bereichern? Seit dem Jahr 2008 hat der Kanton Zug als kleinster Vollkanton mehrere Milliarden Franken in den Finanzausgleich bezahlt. Milliarden! Und es werden immer mehr. Bald zahlen wir sogar in absoluten Zahlen mehr als der viel grössere Kanton Zürich. Wohlgemerkt, wir machen das ohne Murren. Ich stelle auch den Solidaritätsgedanken nicht infrage. Doch beim Finanzausgleich fehlt das Anreizsystem. Es kann doch nicht sein, dass gewisse Kantone in den vergangenen Jahren Milliarden kassiert haben und sich wenig ändert.

Spüren wir da einen gewissen Frust?

Schauen Sie sich die Zentralschweiz an! Bei der Einführung des Finanzausgleichs erhielten diese sechs Kantone fast 280 Millionen Franken aus dem Topf. Heute bezahlen sie rund 480 Millionen ein – weil sich die Zentralschweiz bewegt hat. Da muss ich vor allem Luzern ein Kränzchen winden, das mit verschiedenen Massnahmen, darunter auch Steuersenkungen, die Abhängigkeit vom Finanzausgleich vermindert hat. Obwalden ist sogar vom Nehmer- zum Geberkanton geworden.

Was schliessen Sie daraus?

In der Innerschweiz wollen wir die Staatsquote bewusst tief halten. In diesen Kantonen ist die Ausschöpfungsquote bei den Steuern gesunken, während sie in der Westschweiz gestiegen ist. Die Westschweizer generieren zunehmend Steuern und investieren nicht oder zu wenig in infrastrukturstärkende Massnahmen. Nehmen Sie das Beispiel Moutier. Der Ort hat etwa 7200 Einwohner und leistet sich neun Gemeinderäte, ein 41-köpfiges Parlament, ein Spital, und dann beherbergt er auch noch ein Gericht.

Den Kanton Zug sehen Sie hingegen als Firma. Die Staatsrechnung heisst bei Ihnen Geschäftsbericht.

Ja, diese Bezeichnung haben wir eingeführt. Ich schaue den Geschäftsgang des Kantons rational und unternehmerisch an.

Ihr Problem ist ein anderes. Sie bringen das Geld nicht aus dem Tempel heraus, wie Sie einmal gesagt haben.

Das darf man offenbar nicht sagen, ich wurde für diese Aussage kritisiert. Doch es ist leider die Realität. «Leider» in Anführungs- und Schlusszeichen. Es ist sicher nicht falsch, einen Teil der Überschüsse ins Eigenkapital fliessen zu lassen. Das Geld verdunstet ja nicht. Eine gewisse finanzielle Resilienz ist willkommen. Viele haben bereits vergessen, dass der Kanton Zug noch vor wenigen Jahren schwere Zeiten erlebte und mehrere Sparpakete schnüren musste.

Aber wieso fällt Ihnen das Investieren so schwer?

Rein kommt das Geld jedes Jahr, aber raus bringen Sie es aufgrund von politischen Prozessen und Konstellationen nicht so regelmässig. Wir können nicht einfach sagen, wir investieren hier fünfzig Millionen und da fünfzig Millionen. Es braucht immer einen parlamentarischen Prozess. Grosse Würfe brauchen viel Zeit.

Im März hat die Zuger Bevölkerung den Bau von zwei Strassentunneln abgelehnt. Der erste Satz im Abstimmungsbüchlein lautete: «Zug kann es sich leisten.» Das überzeugte offenbar nicht.

Man muss aufpassen, dass man nicht arrogant auftritt und sagt: «Wir können uns alles leisten, keine Sache.» Wenn Sie investieren wollen, gibt es immer Widerstand: Die einen wollten keinen Baulärm, andere fanden, der Tunnel liege falsch, wiederum andere sind fundamental dagegen und wollen keinen Autoverkehr. So hat es locker für ein Nein gereicht. Jetzt haben wir die Milliarde, die wir investieren wollten, immer noch, was per se auch nicht nur falsch ist.

Nach der Abstimmung überlegte die «Zuger Zeitung», was man mit dem Geld machen könnte. Bekommen Sie E-Mails mit Vorschlägen?

Ja, wahrscheinlich ist in den vergangenen Minuten schon wieder eine E-Mail eingegangen. Es sind alles freundliche Nachrichten: Das beste Beispiel ist eine Person aus der Waadt, die mir geschrieben hat, ich solle ihre Betreibungskosten übernehmen.

Was schreiben Sie zurück?

Dass wir uns eisern ans Finanzhaushaltsgesetz hielten, das so etwas nicht zulasse . . . Ich bekomme auch viele Anrufe von älteren Leuten. Das lässt mich aufhorchen, da müssen wir ein Auge drauf haben. Es gibt ältere Leute, die knapp dran sind, die sich nichts leisten können. Meiner Meinung nach sollten wir sie mindestens von den Steuern befreien, die sie auf die AHV bezahlen müssen.

Das prüfen Sie?

Ja, wenn wir schon so viel Geld auf der hohen Kante haben, sollten wir etwas zurückgeben. Wir überlegen auch, ob wir Gebühren senken können für Leistungen, die der Grossteil der Bevölkerung braucht. Wir müssen ein Paket schnüren, das möglichst allen etwas bringt, wir dürfen nicht einfach nur die Steuern senken.

Sie haben gesagt, Sie bekämen viele Briefe von Leuten, die Geld brauchten. War auch ein Brief von Karin Keller-Sutter darunter? Sie lachen schon.

Nein, sie hat mir nicht geschrieben!

Nicht nur der Kanton Zug hat dieses Jahr hervorragend abgeschlossen, sondern auch andere Kantone. Die Bundeskasse leidet unter vielen Begehrlichkeiten, Armee, Asyl et cetera. Können Sie sich vorstellen, dass der Kanton Zug dem Bund die Hand reicht?

Nein. Karin Keller-Sutter ist eine intelligente Frau, ich schätze sie, kenne sie gut – sie weiss haargenau, was beim Bund läuft: Nicht die Einnahmen sind das Problem, sondern die Ausgaben. Zudem habe ich die gesetzliche Grundlage gar nicht, um einfach Geld zu verteilen. Der Bund muss sein Ausgabenproblem lösen. Bevor er etwas ausgibt, soll er sich fragen, wie es finanziert wird.

Sie kennen die politischen Verhältnisse in Bern. Niemand kann richtig sparen, auch die Bürgerlichen nicht. Die Armee etwa braucht massiv mehr Geld.

Selbst die Bürgerlichen können nicht sparen? Das ist doch kein Argument.

Nein, eine Realität.

Umso schlimmer. Ich finde es sehr spassig, wenn ich nach der AHV-Abstimmung am Sonntagabend die Elefantenrunde schaue und mindestens zwei Parteipräsidenten sagen, es sei klar, wie alles zu finanzieren sei – nämlich mit Einsparungen. Heute ist das im Bundesrat offenbar schon wieder Makulatur, es soll anders finanziert werden, offenbar über Lohnbeiträge, über die Milchkuh Mehrwertsteuer.

Wo würden Sie sparen?

Ich bin nicht Bundespolitiker.

Aber Sie kennen sich aus.

Man muss es konzeptionell angehen. Als wir in Zug sparen mussten, legten wir vier Programme auf. Man darf nicht kommen und sagen, oh, jetzt müssen wir bei der Armee sparen – oh, und jetzt bei der Migration. Sparen ist kein Punkteschiessen, sondern eine strukturelle Aufgabe. Wenn der Bundesrat die Diskussion mutmasslich so führt, dass er mal hier, mal dort zwanzig Millionen herunterfahren will und dann ausgerechnet bei der universitären Bildung spart, weil das keine gebundenen Ausgaben sind, dann muss ich sagen: So löst man das Problem nicht. Und die SVP, eine geschätzte Partei . . .

. . . Ihre eigene . . .

. . . kommt aus guten Gründen, aber erst im Budgetprozess, mit vielen Streichungsanträgen und zieht dann weinerlich davon, weil kein einziger angenommen wurde. Das ist kein strukturiertes Vorgehen. Der Bundesrat braucht die Kraft zum konzeptionellen Sparen. Ich bin überzeugt, es gibt Luft. Sonst würde Frau Keller-Sutter nicht sagen, der Bund habe ein Ausgabenproblem.

Die Ansprüche des Bundes an die erfolgreichen Kantone dürften zunehmen.

Der Bund muss, wie die Kantone, darauf achten, dass er nicht zu viel an sich reisst. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wir in den Kantonen sind zuständig für die Kinderbetreuung, das ist eigentlich logisch. Aber dann kommt sofort der Vorschlag, der Bund solle diesbezüglich siebenhundert Millionen an die Kantone verteilen. Und die meisten Kantone nehmen das Geld gerne. Solche ordnungspolitischen Meisterfehlleistungen nehmen leider zu in unserem Staat, auf allen Ebenen.

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