Billige Tickets, mehr Stammkunden: Geht diese Rechnung bei der BVG auf?

billige tickets, mehr stammkunden: geht diese rechnung bei der bvg auf?

Ein BVG-Bus hält vor der Marienkirche in Mitte. Der größte kommunale Busbetrieb in Deutschland ist ein Rückgrat des Nahverkehrs in Berlin. 2023 wurde er für rund 460 Millionen Fahrten genutzt.

Corona? War da was? Das 29-Euro-Ticket und das Deutschlandticket haben dazu beigetragen, dass die Fahrgastzahl bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) im vergangenen Jahr wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht hat. Das teilte Henrik Falk, Chef des Landesunternehmens, am Freitag mit. Das neue 29-Euro-Abo könnte den positiven Trend nun weiter fortsetzen, so Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD). Es verkaufe sich sehr gut. Doch die Bilanz, die sie vorstellten, zeigt auch: Die BVG wird von ihren staatlichen Zuschussgebern immer abhängiger, vor allem vom Land.

„Die BVG ist zurück“, sagte die Senatorin, die dem Aufsichtsrat des größten Berliner Landesunternehmens vorsitzt. Nach dem Jahresabschluss, den sie und der BVG-Chef dem Gremium am Freitag vorstellten, wurden die U-Bahnen, Busse, Straßenbahnen und Fähren im vergangenen Jahr für 1,066 Milliarden Fahrten genutzt. Im Jahr davor waren es 961 Millionen Fahrten. Das ist ein Plus von fast 105 Millionen Fahrgästen.

Auch die Zahl der Stammkunden ist weiter gestiegen. Im vergangenen Jahr besaßen 1,191 Millionen BVG-Kunden ein Abonnement, hieß es. Im Vergleich zum Jahr davor nahm ihre Zahl um 128.000 zu. 2022 hatte das Unternehmen 1,063 Millionen Kunden, im Jahr davor waren es nur 869.000. Damals hatte die erste Version des 29-Euro-Tickets zu einem deutlichen Sprung der Abonnentenzahlen beigetragen. Im vergangenen Jahr brachte das bundesweit geltende Deutschlandticket für 49 Euro pro Monat den Schub.

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Die Berliner U-Bahn, das am meisten genutzte Verkehrsmittel in Berlin. Im vergangenen Jahr wurde sie für 529,8 Millionen Fahrten genutzt – mehr als bei der S-Bahn.

„Die Einführung des Deutschlandtickets im vergangenen Mai hat dazu beigetragen, dass nicht nur die Zahl der Abonnenten, sondern auch die Fahrgastzahlen 2023 deutlich gestiegen sind“, sagte Falk. „In der Woche vor der Einführung registrierten unsere Zähleinrichtungen im Schnitt weniger Fahrgäste als vor Corona. In der Woche danach lag das Aufkommen darüber. Die Fahrgastzahl ist sprunghaft angestiegen, und die Erwartung, die Zahl der Abonnenten und damit der Stammkunden deutlich zu steigern, ging auf.“ Erwartet wird nun aber, dass die Zahl der 49-Euro-Ticketinhaber sinkt.

Der Grund: Wie berichtet wird es zum 1. Juli eine Neuauflage des 29-Euro-Tickets geben, und zwar mit veränderten Bedingungen. Am 23. April begann der Vorverkauf für das neue Berlin-Abo, dessen Besitzer sich anders als beim Vorgänger zunächst für zwölf Monate binden müssen. „Mit der Nachfrage nach dem neuen Berlin-Abo, dem Nachfolger des 29-Euro-Tickets, sind wir sehr zufrieden“, berichtete Franziska Giffey.

Am ersten Tag des Vorverkaufs seien bei der BVG rund 7.600 Bestellungen eingegangen, berichtete die Aufsichtsratsvorsitzende. Der Großteil wechselte vom Deutschlandticket zu dem neuen Stammkundenangebot. „Aber viele Kunden hatten bis dahin noch kein Abonnement bei der BVG“, berichtete Giffey. „Der Anteil dieser Neukunden machte nicht weniger als 15 Prozent aus.“

Der Trend setze sich fort. „Während der ersten vier Tage des Vorverkaufs haben die BVG und die S-Bahn Berlin insgesamt rund 22.000 Bestellungen registriert“, sagte die Senatorin. „Die Neukundenquote liegt weiterhin bei 15 Prozent. Damit zeichnet sich ab, dass sich viele Berliner, die andere Tickets nutzten oder nicht mit der BVG unterwegs waren, für das neue Berlin-Abo entscheiden werden. Das ist eine positive Entwicklung.“

Wie sich neue Fahrkartenangebote auf die Fahrgastzahl und die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auswirken, sorgte schon beim Neun-Euro- und beim Deutschlandticket für heftige Debatten. Die preiswerten Offerten sorgten für induzierten Verkehr, der das System belaste – viele Fahrten hatten ohne ein solches Angebot nicht stattgefunden, so die Kritik. Zugleich sei die Zahl der Neukunden, die den öffentlichen Verkehr vorher nicht genutzt hätten, sehr gering. Wer Auto fährt, bleibe dabei, hieß es.

„Natürlich freuen wir uns auch darüber, wenn sich Berliner, die bislang vor allem mit dem Auto unterwegs waren, für ein Abo entscheiden und damit langfristig auch für den ÖPNV“, sagte der BVG-Vorstandsvorsitzende. Dass sich immer mehr Menschen für Abos entscheiden, sei aber trotzdem auch betriebswirtschaftlich bedeutsam. Die Beziehung zu Stammkunden sei enger, und die Kosten für die BVG seien niedriger als bei anderen Tarifen. 58 Prozent der BVG-Fahrgeldeinnahmen stammen bereits von Abo-Inhabern. Alle Fahrgelderträge sind von 546,8 Millionen auf 665,7 Millionen Euro gestiegen.

Klar ist allerdings auch, dass subventionierte Fahrkarten einen immer größeren Teil ausmachen. Giffey erinnerte daran, dass das Sozialticket für neun Euro im Monat und das kostenlose Berliner Schülerticket weiterhin zum Angebot gehören. Unterm Strich wurden die Zahlungen, mit denen das Land und zu einem kleineren Teil der Bund die Mindereinnahmen der BVG ausgleichen, im vergangenen Jahr weiter erhöht. Sie nahmen von 208,1 Millionen auf 361,7 Millionen Euro zu, heißt es im Jahresabschluss. Dazu kommen die Ausgleichsleistungen, die das Land Berlin aufgrund des Verkehrsvertrags für den Betrieb und die Infrastruktur zahlt. 2023 waren es 479,6 Millionen Euro.

„Es ist richtig, dass wir vom Land Berlin abhängiger werden“, so BVG-Chef Falk. „Doch klar ist auch, dass uns der gemeinsame Verkehrsvertrag bis 2035 eine langfristige stabile Grundlage bietet.“ Der Jahresabschluss für 2023 ende mit einem positiven Wert, sagte Senatorin Giffey. „3,9 Millionen Euro Jahresergebnis nach Zinsen und Steuern – nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer ist das eine gute schwarze Null.“ Im Jahr davor hatte das Unternehmen ein Plus von 4,8 Millionen Euro verbucht. Die Investitionen wuchsen von 394 Millionen auf 475 Millionen Euro. 16.100 Menschen arbeiten für die BVG. Im vergangenen Jahr trafen 30.000 Bewerbungen ein, 2.400 Arbeitsstellen wurden besetzt.

Im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, zog die BVG auf einem weiteren Feld eine positive Bilanz. So wurde die Verkehrsleistung in allen Bereichen um durchschnittlich drei Prozent gesteigert. Es stimme, dass die BVG die Busleistungen im vergangenen Jahr um sechs Prozent kürzen musste – Fahrpersonal fehlte. „Aber dabei sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die Zahl der zurückgelegten Kilometer im Busverkehr trotzdem seit 2019 um 2,3 Prozent gestiegen ist. Auch in unseren anderen Unternehmensteilen bringen wir mehr Verkehrsleistung ins Netz als vor Corona“, sagte Falk. „Ich kenne kein größeres Nahverkehrsunternehmen in Deutschland, das während der Pandemie die Leistung und damit das Angebot für die Fahrgäste so steigern konnte.“

Bei der Qualität zeigt die Bilanz allerdings auch negative Trends. So nahm der Anteil der Fahrten, die als pünktlich registriert wurden, im vergangenen Jahr weiter ab. Im Busverkehr der BVG sank sie von 90,3 auf 88,6 Prozent. Bei der Straßenbahn ging die Pünktlichkeitsquote von 88,3 auf 87,1 Prozent zurück, bei der U-Bahn von 98,6 auf 98,4 Prozent. Auch bei der Zuverlässigkeit ist die Entwicklung negativ. So fanden beim Bus im vergangenen Jahr 95,5 Prozent der geplanten Fahrten statt, 2022 waren es 97,9 Prozent.

„2024 zeichnet sich ab, dass die unternehmerischen Herausforderungen in Anbetracht finanzpolitischer Veränderungen größer werden“, sagte Henrik Falk. „Wir können heute nicht ausschließen, dass die neben dem Berlin-Abo und dem Deutschlandticket bestehenden Tarife irgendwann steigen müssen.“ Für das Geschäftsjahr 2024 weist der BVG-Wirtschaftsplan fünf Prozent mehr Fahrgäste aus. Zu dem Plan gehört aber auch, dass eine „Tarifmaßnahme“ beschlossen wird, die dazu beiträgt, dass die Fahrgeldeinnahmen um 6,7 Prozent steigen. Die Ausgaben für Strom und Kraftstoff werden weiter steigen – allein im vergangenen Jahr betrug das Plus 22,7 Millionen Euro.

Unterm Strich könnte in der nächsten Bilanz eine rote Zahl stehen. Für 2024 rechnen die Finanzplaner mit einem Konzernverlust von 57,7 Millionen Euro.

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