Boykott von Edeka, Nike und Co. – Wer hinter der Anti-Israel-App steckt

Die App „No Thanks“ warnt vor Produkten von Firmen, die angeblich Israel im Gaza-Krieg unterstützen. Eine SWR-Moderatorin warb kürzlich für das Programm. Die Spur der Macher führt direkt ins Palästinensergebiet. Und gibt Aufschluss über eine zweifelhafte Erfolgsgeschichte.

Die Beschreibung klingt noch harmlos: „Unsere App vereinfacht das Scannen von Strichcodes. Es macht deinen Einkauf einfach: Scan das Produkt, und die App klärt dich auf.“ Doch in Wahrheit geht es um etwas anderes. Das wird etwas weiter hinten klar. „Hier kannst du sehen, ob das Produkt in deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht.“

Die App „No Thanks“ war wegen dieser Formulierung zwischenzeitlich in den App-Stores von Apple und Google gesperrt. Doch nun hat sie wieder prominente Fürsprecher: die SWR-Moderatorin Helen Fares warb erst vor wenigen Tagen auf Social Media für das Anti-Israel-Programm und für den Boykott vermeintlich israelischer Produkte. Bei X geriet ihr Beitrag in die Kritik, Nutzer fühlten sich an die Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden“ erinnert.

Zwar ist die Beschreibung nun entschärft, doch der Inhalt bleibt gleich: Per Foto vom Strichcode eines Produkts warnt die App vor Unternehmen, die angeblich Israel im Gaza-Krieg unterstützen. Dabei reicht es aus, dass ein Unternehmen Läden in Israel betreibt, im Konzernverbund schon einmal in dem Land investiert oder auch nur den Terror-Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 verurteilt hat.

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Die App „No Thanks“: Milch der Marke Ammerländer ist für die Betreiber der App ok Screenshot WELT

Entsprechend breit ist die Warnliste. Sie umfasst längst nicht nur Unternehmen und Produkte aus Israel, sondern reicht von Nike über Mars und Unilever bis Coca-Cola. Auch deutsche Unternehmen sind dabei.

Der Händler Edeka etwa taucht auf, weil er Datteln aus Israel im Sortiment hat. Vom US-Sonnenschutzmittel Coppertone wird abgeraten, weil dahinter der Bayer-Konzern stehe, der wiederum in Israel investiere und nach den Anschlägen die israelische Flagge an seiner Zentrale gehisst habe. Tatsächlich gehört Coppertone allerdings bereits seit fünf Jahren zum Dax-Konzern Beiersdorf.

Trotz solcher Fehler und Verallgemeinerungen ist die App offenbar erfolgreich – auch über Empfehlungen von Influencern etwa auf der Videoplattform TikTok. Allein für Android verzeichnet sie über eine Million Downloads und sammelt in den Stores von Google und Apple überwiegend wohlwollende Rezensionen ein. Die Nutzerzahl vergrößert zugleich die Zahl der Produkte in der Datenbank: Nutzer können eigene Boykott-Vorschläge einreichen.

Auf die Frage, wieso eine App mit der Nähe zur umstrittenen antiisraelischen Boykott-Bewegung BDS in ihren App-Stores stehen darf, antworteten Google und Apple zunächst nicht. Google steht ebenfalls auf der Liste in der App, weil der Konzern ein Cloud-Projekt der israelischen Armee unterstütze.

Hinter „No Thanks“ steht ein 25-jähriger Programmierer, der eigentlich ein Musterbeispiel für Bildungsaufstieg in Gaza sein könnte. Ahmed Bashbash hat die nach dem Gaza-stämmigen Geschäftsmann und Spender Hammad Harazeen benannte Secondary School besucht und ist anschließend zum Informatik-Studium nach Ungarn ausgewandert. Laut seines Lebenslaufes war er ein Jahr lang Trainee beim Telekommunikationskonzern Nokia in Budapest und arbeitet dort seitdem als freiberuflicher Software-Entwickler. Anfang des Jahres gründete er eine eigene Firma unter anderem zur App-Programmierung.

Sein Bruder Mahmoud studierte in Gaza Bauingenieurswesen und ging anschließend laut seines LinkedIn-Profils für ein Master-Studium nach Danzig. Dort ist er heute für eine indische Software-Firma tätig.

Eine in Gaza verbliebene Schwester sei dagegen 2020 bei einem Krankentransport nach Jerusalem verstorben, gibt Ahmed Bashbash in einem Erklärtext in der App an. Er macht dafür langwierige Genehmigungen für die Ausreise aus Gaza verantwortlich. Ein Bruder sei zudem unter den Opfern von israelischen Luftschlägen am 31. Oktober 2023, die Wohnhäuser getroffen hatten. Der Angriff hatte damals heftige Kritik ausgelöst. Ein israelischer Armeesprecher hatte ihn als „Kriegstragödie“ bedauert. Allerdings seien auch hochrangige Hamas-Funktionäre und -Kämpfer getroffen worden.

Überprüfen lässt sich die Angabe von Bashbash nicht: In einer im Internet von „Human Rights Watch“ veröffentlichten Liste mit Opfern des folgenreichsten Gebäude-Einsturzes an dem Tag mit über 100 Toten findet sich der Name Bashbash nicht. Allerdings gab es weitere Angriffe.

Der App-Entwickler wolle seine App nicht als antisemitisch verstanden wissen, sagte Ahmed Bashbash in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender Al-Jazeera. „Ich will nur Frieden für mein Land“, sagte er. „Geld, das nach Israel fließt, wird genutzt für Bomben und Treibstoff für Luftangriffe“, sagte er. Daher sei die Wirtschaft Teil eines „Genozids“.

Dieser Völkermord-Vorwurf gegen Israel ist strittig und wird derzeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelt. „Ich will nicht, dass mein Geld in diese Zerstörung fließt“, sagte Ahmed Bashbash. Dafür sei die App hilfreich. Zu den Attacken der Hamas auf Israel äußerte er sich nicht.

Für seine App und für Spenden an Gaza wirbt er um Spenden. Offizielle Hilfsorganisationen seien dabei nicht beteiligt, das Geld werde über vertrauenswürdige persönliche Kontakte eingesetzt. Auch sein Bruder bittet von Polen aus um Geld, um Familienmitglieder evakuieren zu können.

Dabei setzen die Brüder auch auf den Dienstleister PayPal. Der steht allerdings ebenfalls auf der Boykottliste der No-Thanks-App, da der Service in Gaza nicht verfügbar ist. Es gebe aber keine bessere Alternative, erklärte Ahmed Bashbash. Auf eine WELT-Interview-Anfrage reagierte er zunächst nicht.

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