Wozu auch kleine Perspektivwechsel manchmal führen können: Szene aus der Eröffnungsperformance des Salzkammergut-Festivals
Es war kalt, sogar sehr kalt. Auf minus zwölf Grad sank die Temperatur des Nachts, auch untertags war es nie wärmer als minus sieben Grad. Trotz der klirrenden Kälte ließen es sich die neugierigen Zuschauer am vergangenen Wochenende nicht nehmen, der Freilufteröffnung des Salzkammergut-Festivals 2024 in Bad Ischl beizuwohnen. Über fünftausend Besucher waren in den Kurpark des einstmals kaiserlichen Residenzstädtchens in Oberösterreich gekommen, mehr waren auf dem Gelände um die Hauptbühne auch gar nicht zugelassen. Insgesamt reisten geschätzte fünfzehntausend Menschen zur Eröffnung des Kulturjahres an, was in etwa der Einwohnerzahl Bad Ischls entspricht.
Volles Rohr: Nackte bei der Performance „Pudertanz“
Erstmals wurde mit dem Salzkammergut eine ganze Region zu einer von diesmal drei Europäischen Kulturhauptstädten Europas ernannt, neben der estnischen Universitätsstadt Tartu und der norwegischen Stadt Bodø. Bad Ischl steht nur stellvertretend für nicht weniger als dreiundzwanzig Gemeinden des Salzkammerguts, die sich direkt am Programm des Kulturjahrs beteiligen. Weshalb dessen spartenübergreifendes Konzept, das die auch in Deutschland bekannte Festivalleiterin Elisabeth Schweeger zusammenstellte, von Tradition bis Innovation reicht. Das zeigte sich bereits in der eisigen Eröffnungszeremonie.
Sänger aus allen Altersgruppen
Nach einer zünftigen Fanfare von Leonhard Paul, die dreiundzwanzig Blechbläser aus allen beteiligten Gemeinden spielten, ertönte der wohl stimmgewaltigste Jodler, den Österreich je gehört hat: Hubert von Goisern stellte eintausend Sängerinnen und Sänger aus allen Altersgruppen der Region zusammen, die, aufgeteilt in Gruppen, an den Flanken der großen Bühne und im Publikum standen. Nur von einem Perkussionisten (Christoph Sietzen) begleitet, spielte der aus dem Salzkammergut stammende Sänger schräge Klänge am elektronischen Theremin, ehe er zu jodeln begann und in den von Susanna Fabian geleiteten Choristen ein mächtiges Echo fand. Eine gelungene Reminiszenz an die Volksmusikkultur und an die imposanten Gebirgszüge des Salzkammerguts.
Jäher Szenenwechsel
Nach kurzen Reden der Politiker, der Bürgermeisterin Bad Ischls (Ines Schiller), der Landeshauptmänner Oberösterreichs (Thomas Stelzer) und der Steiermark (Christopher Drexler) sowie Andrea Mayers und Vizekanzler Werner Koglers vom österreichischen Kulturministerium, folgte ein jäher Szenenwechsel: Mit Tom Neuwirth aus Gmunden, international bekannt als Conchita, betrat ein Vertreter der queeren Popszene die Bühne – in einem schwarzen Reifrock als Erinnerung an Kaiserin Elisabeth, die sich 1853 in Bad Ischl mit Kaiser Franz Joseph I. verlobt hatte. Wie zu erwarten, flogen Conchita bei ihrem preisgekrönten Song „Rise Like A Phoenix“ die Herzen des Publikums zu. Herausfordernder war der Auftritt von Doris Uhlich, die ihr Solo „Pudertanz“ für Bad Ischl in eine Ensemblechoreographie verwandelte: Ein Dutzend nackter Menschen bestreut sich auf der Bühne mit Puder und beutelt sich hernach kräftig durch, nicht nur um der Kälte zu trotzen, sondern auch um symbolisch überflüssigen Traditionsstaub abzuschütteln.
Womit bereits im Eröffnungsevent ein inhaltlicher Strang angerissen wird, der sich durchs Programm dieses Kulturjahres ziehen wird: feministische und queere Positionen, durch die kritisch die Benachteiligung der Frauen hinterfragt wird. Wie etwa durch das Projekt „Solange #29“ von Katharina Cibulka, die seit 2018 öffentlich Sätze präsentiert, die mit „Solange“ beginnen: „Solang ois bleibt, weils oiwa scho so war, bin i Feminsti:in“, steht in Mundart groß in roten, gestickten Lettern auf dem Schutzvorhang des gerade in Restaurierung befindlichen Postgebäudes. Was so manch zufällig vorbeikommende einheimische Passanten zu Gelächter oder Kopfschütteln bewegt.
Rockmusik aus der Klangkantine
Auftritte von Slam-Poetinnen wie Yasmo (Yasmin Hafedh) und Mieze Medusa (Doris Mitterbacher), die bissige Texte zur Rockmusik der „Klangkantine“ rappen, flankieren diesen Programmstrang. Kritisch hinterfragt wird auch der heutige Umgang mit der Natur in der Ausstellung „salz & wasser“, den zentralen Elementen im Salzkammergut, im ehemaligen Sudhaus. So schuf die Italienerin Caterina Gobbi gleichsam einen Soundtrack zum Klimawandel mit einer Collage aus dem Rauschen schmelzenden Wassers und dem Knirschen des unter dem Gletscher befindlichen Gerölls – eine gespenstisch-endzeitliche Klanginstallation. Die Israelin Sigalit Landau zeigt wiederum auf einem Video-Still zwei ins salzige Wasser des Toten Meers getauchte Schuhe, die auf dem Eis eines Sees allmählich versinken. Am stärksten wirkt eine abstrakte Installation von dem Japaner Motoi Yamamoto, der aus sechs Tonnen Salz eine kantige, in eine Ebene abflachende Gebirgslandschaft schuf, die mit einem geometrischen „Labyrinth“, so der Titel der Arbeit, aus Salz bedeckt ist. Ein Symbol für die vielen Hindernisse, die dem Lauf von Wasser heute entgegenstehen, das zumindest in ein angedeutetes Flussdelta münden kann.
Ohne Neubau prunken
Das Sudhaus erwies sich – abgesehen von der auch dort herrschenden Kälte – als idealer Ort für eine Ausstellung, auch kleinere Konzerte oder Performances könnten dort stattfinden. Deshalb entschloss sich das Leitungsteam des Festivals, nicht mit einem Neubau zu prunken, sondern alte, in der Region zahlreich vorhandene Kulturstätten zu restaurieren. Das Theater in Gmunden wird bereits im kommenden Sommer fertig instand gesetzt sein, sodass künftig neben Kinoprogrammen wieder Theateraufführungen gezeigt werden können, und das Lehár-Theater sowie das Sudhaus in Bad Ischl werden nebst anderen Gebäuden ab 2025 generalsaniert.
Im kleinen Lehár-Theater war bereits jetzt eine bemerkenswerte Aufführung von George Antheils „Ballet mécanique“ (1926) zu erleben. Denn der in Graz lebende Elektronikkünstler Winfried Ritsch entwarf einen Algorithmus, mittels dessen die Instrumente des Stücks – drei Player-Pianos, vier große Trommeln, Xylophone, Glockenspiel und Sirenen – elektronisch angesteuert werden können. Wodurch die menschliche Fähigkeiten übersteigende Komposition erstmals im originalen Tempo zu dem abstrakten Film von Fernand Léger und Dudley Murphy gehört werden kann.
Im Umfeld solch ambitionierter Projekte ging fast unter, dass Bad Ischl überregional als Stadt der Operette bekannt wurde. Mit einem Gastspiel der Komischen Oper im wärmenden Kongresshaussaal ist auch die leichte Muse gut abgedeckt. Frech von gut zwei Dutzend Darstellern auf deren zwei reduziert, ist Oscar Straus’ „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (1932) in einer Inszenierung von Barrie Kosky zu sehen. Ein vergnügliches Intermezzo, in dem die bemerkenswert gut singenden Schauspieler Dagmar Manzel und Max Hopp komödiantisch brillieren. Wenn es nötig ist, sogar in doppelgeschlechtlich-zweigeteilten Kostümen. Mit solch subversivem Humor lässt sich vielleicht auch der gesellschaftlichen Kälte trotzen.
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