Polen: Festnahmen und Durchsuchungen bei PiS-nahen Politikern

polen: festnahmen und durchsuchungen bei pis-nahen politikern

Adam Glapiński am 10. Juni 2016 in Warschau

Mit Durchsuchungen, Festnahmen und der Anrufung des Staatsgerichtshofs sind Polens Behörden gegen Vertreter der Opposition sowie gegen den Präsidenten der Zentralbank vorgegangen. In allen Fällen geht es um Ermittlungen wegen mutmaßlicher Straftaten im Amt. Am Dienstag verschafften sich Agenten des Inlandsgeheimdiensts ABW Zutritt zum Wohnhaus von Zbigniew Ziobro, der bis zum Herbst für die rechte Partei PiS Justizminister und Architekt der umstrittenen Justizreformen gewesen war; am Mittwoch gab es weitere Durchsuchungen.

Zugleich unterzeichneten 191 Abgeordnete der regierenden Mitte-Links-Koalition einen Antrag, mit dem sie erreichen wollen, dass der seit 2016 amtierende, PiS-nahe Zentralbankchef Adam Glapiński wegen Rechts- und Verfassungsbruchs vor einen Staatsgerichtshof gestellt wird. Sollte der Antrag Erfolg haben, wäre es der erste Fall seit 2006, dass der Gerichtshof, in Polen „Staatstribunal“ genannt, in Aktion tritt.

Die Öffentlichkeit bewegt vor allem das Vorgehen gegen den früheren Minister Ziobro und sein Umfeld. Hintergrund sind laut der Staatsanwaltschaft, die den Geheimdienst mit den Durchsuchungen beauftragte, Ermittlungen wegen der Zweckentfremdung von Millionensummen. Diese Gelder, Mittel des 1997 eingerichteten sogenannten „Fonds der Gerechtigkeit“, sollten ursprünglich der Unterstützung von Opfern der Kriminalität sowie der Resozialisierung von aus der Haft entlassenen Verurteilten zugutekommen.

Nachdem die PiS an die Macht gekommen war, wurde die Verwendung der Mittel erweitert: um die „Bekämpfung der Ursachen der Kriminalität“, Erziehungs- und Informationsarbeit. Auch durften nicht mehr nur Nichtregierungsorganisationen Empfänger sein, sondern eine breite Palette von Organen, von Behörden und Gerichten bis hin zu Krankenhäusern und zur Freiwilligen Feuerwehr.

Die Pegasus-Affäre

Auf diese Weise gingen 25 Millionen Złoty (knapp sechs Millionen Euro) an das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA), eine Polizeibehörde. Das CBA wiederum kaufte sich – offenbar von diesen Mitteln – die von einer israelischen Firma hergestellte Spionagesoftware Pegasus, mit der seitdem vor allem Persönlichkeiten der Opposition belauscht wurden. Die Verwendung dieses Systems ist in Polen nach Ansicht der meisten Juristen illegal. Lange Zeit hatten sich PiS-Politiker über den Pegasus-Verdacht lustig gemacht. Jetzt aber stehen sie, nachdem die PiS sich nach den Wahlen im Herbst in die Opposition begeben musste, vor einem Untersuchungsausschuss, der Kauf, Einsatz und spätere Vertuschung der Pegasus-Aktionen aufklären soll. Die Pegasus-Affäre könnte nachträglich zum größten Skandal der inzwischen abgewählten PiS-Regierung werden.

Für die von katholischen Priestern gegründete Stiftung „Profeto“ waren aus dem Fonds umgerechnet etwa 23 Millionen Euro vorgesehen, wobei für die ursprünglichen Stiftungszwecke offenbar nichts abfiel. 2021 untersuchte Polens Rechnungshof NIK den Fonds und stellte umfangreichen Missbrauch fest. Doch der Justizminister und heutige Abgeordnete Ziobro hielt seine Hand über den Fonds, Konsequenzen gab es nicht.

Seit Dienstag wurden nun fünf Beamte und ein Priester im Zuge der Ermittlungen festgenommen. Ziobros Privaträume und Diensträume eines seiner früheren Stellvertreter im Parlament wurden durchsucht. Um in Ziobros Haus zu gelangen, haben die Agenten offenbar die Haustür aufgebrochen. Der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda hat am Mittwoch das Vorgehen der Behörden kritisiert: „Wenn jemand von den Geheimdiensten oder der Staatsanwaltschaft sich ein solches Vorgehen erlaubt, gehe ich davon aus, dass er Grundlagen dafür hat“. Wenn nicht, müsse er „zwangsläufig die strafrechtliche Verantwortung dafür tragen“. Oppositionsführer Jarosław Kaczyński drohte, Regierungschef Donald Tusk müsse eines Tages mit einer Haftstrafe „bis zu lebenslänglich“ rechnen.

Dem amtierenden Zentralbankchef Adam Glapiński werfen die Koalitionspolitiker vor, seinen Posten für politische Einflussnahme missbraucht und eine Geldpolitik zugunsten der PiS-Regierung betrieben zu haben. Er habe die Zentralbank zur „wichtigsten Bastion“ der früheren Regierung gemacht, sagte der Abgeordnete Tomasz Trela. Der eingereichte Antrag umfasst insgesamt acht Anklagepunkte, darunter den Kauf von Staatsanleihen ohne die nötige Genehmigung oder das Eingreifen in den Devisenmarkt ohne Genehmigung des Vorstands der Bank. Sollte das Parlament dem Antrag der Abgeordneten zustimmen, wird der Fall an den Staatsgerichtshof überwiesen, das für hohe Beamte zuständig ist. Sollte es zu einer Gerichtsverhandlung kommen, würde Glapiński von seinem Amt suspendiert werden. Sein Mandat läuft 2028 aus.

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