Polens Außenminister Sikorski an Russland und China: „Beendet den Krieg!“

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Polens Außenminister Radoslaw Sikorski

„Als Land haben wir unsere Interessen. Wir werden sie verteidigen. Nicht, indem wir mit dem Schuh auf den Tisch hauen, sondern indem wir überzeugen und Lösungen vorschlagen. Und manchmal auch ‚Nein‘ sagen.“ Das hat Polens Außenminister Radosław Sikorski gesagt, als er am Donnerstag im polnischen Parlament die außenpolitischen Pläne Polens für die nächsten vier Jahre vorstellte. Er forderte zusätzliche Sanktionen gegen Belarus und eine konsequente Fortsetzung der Sanktionen gegen Russland sowie die Beschlagnahmung der russischen Devisenreserven. Außerdem sagte er: „Die Krim ist die Ukraine, der Donbas ist die Ukraine, Lemberg ist die Ukraine!“ Dabei bezog er sich auf jüngste Vorschläge, dass die Ukraine Teile ihrer Gebiete aufgeben solle.

Sikorski begann seine Rede mit einer Abrechnung über die letzten Jahre der polnischen Politik unter der PiS-Regierung. „In jeder Mythologie braucht es einen Bösewicht“, sagte Sikorski. „In der PiS-Mythologie wurde diese Rolle von Deutschland gespielt. Die Interessen Polens und Deutschlands sind offensichtlich nicht die gleichen.“ Damit sagte er, dass Polen und Deutschland eigentlich die gleichen strategischen Ziele anstreben müssten. Als er diese Worte aussprach, schallte spöttisches Gelächter durch die Bänke der PiS-Abgeordneten.

Die jüngste Rede des Außenministers muss man als ein wichtiges Versprechen für eine neue Qualität in der internationalen Ausrichtung Polens verstehen. Die Polen hätten tragische Erfahrungen mit Deutschland gemacht, so Sikorski. Das bedeutet aber nicht, dass die deutsch-polnischen Beziehungen für immer und ewig schlecht bleiben müssten. „Deutschland ist Polens engster Nachbar, unser wichtigster Handelspartner und ein wichtiger Verbündeter in der Nato“, so Sikorski.

Der Außenminister fügte außerdem hinzu, dass die deutsche Russland-Politik bis 2022 fehlerhaft gewesen sei. Doch er kritisierte auch seine Landsleute. „Die Ressentiments gegenüber Deutschland sind auch eine Ableitung der Ressentiments gegenüber dem Westen im Allgemeinen“, sagte Sikorski. „Zum Westen, den die vorherige polnische Regierung genau so dargestellt hat, wie es die Kreml-Propaganda tut“, betonte er.

Mit seiner Rede versuchte Sikorski, zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen. Erstens wollte er dem Westen, aber auch seinen eigenen Wählern zeigen, dass Polen in die europäische Gemeinschaft zurückgekehrt ist. Zweitens wollte er den Wählern der PiS und der anderen rechten Parteien zeigen, dass Polen eine unabhängige Politik betreibt, auch wenn die aktuelle liberale Regierung von Donald Tusk eine tiefere europäische Integration befürwortet. Er warf der rechten PiS-Opposition vor, dass sie während der schlimmsten Krisen wie der Covid-19-Pandemie die EU zu einer Freihandelszone degradieren wollte. „In Freihandelszonen werden keine Millionen von Euro für gegenseitige Hilfen bereitgestellt, keine gemeinsamen Waffen gekauft und keine gemeinsamen Sanktionen verhängt“, so Sikorski.

An die Adresse von Politikern der extremen Rechten, der PiS-Partei und der Konfederacja, die Polens Mitgliedschaft in der Union mit der früheren sowjetischen Herrschaft über Polen vergleichen, sagte Sikorski, sie würden „die Gräber der Polen entehren, die tatsächlich durch die Hand der sowjetischen Unterdrücker gestorben sind“. Eine Woche vor dem 20. Jahrestag des Beitritts Polens zur Europäischen Union äußerte er sich auch gegenüber dem polnischen rechten Flügel: „Wir sind der Europäischen Union nach jahrelangen Bemühungen beigetreten, als Ergebnis einer Entscheidung des Volkes, die in einem zweitägigen Referendum getroffen wurde, mit dem Segen des polnischen Papstes.“

polens außenminister sikorski an russland und china: „beendet den krieg!“

Polens Präsident Andrzej Duda applaudiert im polnischen Parlament, nach der Grundsatzrede von Außenminister Sikorski.

Minister Sikorski kennt die polnische Rechte sehr gut. Er stammt selbst aus diesem Lager, war er doch während der ersten Regierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) von 2005 bis 2007 Verteidigungsminister, und nach den Maßstäben westlicher Politik ist er weltanschaulich ein Konservativer. Daher rührt wahrscheinlich auch der Bezug zu Johannes Paul II. Und wahrscheinlich hat er deshalb in seiner Rede das Recht auf Abtreibung zu den „Angelegenheiten der nationalen Identität“ gezählt, die nicht den Regelungen der Europäischen Union unterworfen werden sollten. Gleichzeitig sollte man nicht vergessen, dass Sikorskis Partei, die Bürgerplattform, heute die Liberalisierung des Rechts auf Abtreibung in Polen unterstützt. Allerdings haben einige von Tusks Koalitionspartnern damit ein Problem.

Angesichts des andauernden Krieges mit der Ukraine betonte Minister Sikorski, dass Polen bereits von der russischen Kriegsführung betroffen sei – in Form von ungesteuerter Migration, die aus dem Osten kommt, oder aus Russland kommender Desinformation. Sikorski sprach auch Worte aus, die man in der polnischen Politik schon lange nicht mehr gehört hat: „Polen ist bereit, mit einem nicht-imperialen Russland zusammenzuarbeiten, das die Rechte anderer Nationen auf Selbstbestimmung respektiert.“

In den letzten Jahren haben polnische Politiker immer wieder betont, dass ein „nicht-imperiales Russland“ gar nicht möglich sei. Diese Erklärungen werden vom rechtspopulistischen Flügel der Partei Recht und Gerechtigkeit zwangsläufig gegen Sikorski verwendet werden. Die PiS wird versuchen, aus Sikorski einen „russischen Agenten“ zu machen.

Der Leiter der polnischen Außenpolitik wandte sich auch direkt an die Russen: „Ihr, die Russen, habt immer noch den größten Flächenstaat der Welt. Ihr braucht das Land anderer Länder nicht. Fangt endlich an, in Euer Land und in Euer Volk zu investieren. Ihr könnt zunächst einmal den teuren Krieg beenden und die Mörder und Diebe von der Macht entfernen. So wie wir es in Polen getan haben.“ Sikorski appellierte auch an die Regierung Chinas, „eine Großmacht und ein wichtiger Wirtschaftspartner Polens“. Er wies darauf hin, dass China wie Polen im 18., 19. und 20. Jahrhundert Opfer von Kolonialismus und aufgezwungenen Verträgen war. „Wir hoffen, dass die chinesische Seite den modernen Kolonialismus von Wladimir Putin erkennt“, appellierte Sikorski und erinnerte daran, dass das kommunistische China Polen während der antisowjetischen Proteste 1956 gegen die Sowjetunion unterstützte.

Minister Sikorski versicherte den Polen auch, dass Russland nicht so mächtig ist, wie es manchmal zu sein scheint. Er wies darauf hin, dass das militärische, bevölkerungsmäßige und wirtschaftliche Potenzial der EU und der Nato um ein Vielfaches größer ist als das Russlands. „Polens Pro-Kopf-Einkommen ist um ein Drittel höher als das Russlands, obwohl wir keine Öl-, Gas- oder Goldvorkommen haben. Und wir überfallen niemanden. Unser Einkommen ist auch gleichmäßiger verteilt“, fügte er hinzu. Es sei daran erinnert, dass Sikorski noch vor wenigen Monaten sagte, er bereite sich zu Hause auf einen möglichen Krieg auf polnischem Gebiet vor. Heute klingt er anders.

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