Von Mittwoch bis Montag steht der Personenverkehr bei der Bahn fast komplett still. Verspielt GDL-Chef Claus Weselsky die letzten Sympathien? Drei Experten schätzen die Lage ein.
So sehen die Zuganzeiger zurzeit an vielen deutschen Bahnhöfen aus.
Im Tarifstreit um höhere Einkommen und kürzere Arbeitszeiten hat die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) am Dienstag (Güterverkehr) und Mittwoch Personenverkehr einen Streik begonnen, der bis zum nächsten Montag den Schienenverkehr weitgehend stilllegt.
Es ist der vierte Streik in der Tarifauseinandersetzung, die im Herbst begann. Verhandelt haben GDL und die Bahn bislang kaum, was Zweifel an der Kompromissfähigkeit der Tarifpartner provoziert. Überzieht GDL-Chef Claus Weselsky und verspielt damit das Verständnis in weiten Teilen der Bevölkerung? Drei Experten schätzen die Lage ein. Alle Folgen unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.
Grenzen des Streikrechts sind erreicht
Sechs Tage Streik bei der Bahn – das ist länger als je zuvor und länger als die Öffentlichkeit akzeptiert. Der Verkehrsminister kritisiert den Streikaufruf, aber seine Kritik bleibt ohne Folge. Will die Politik das Gemeinwohl besser schützen, dann kann sie das nicht durch Zeitungsinterviews, sondern durch Gesetze. Wir haben in Deutschland kein Streikgesetz und so müssen die Gerichte mühsam hergeleitet aus der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes immer wieder neu die Grenzen justieren.
Der Gesetzgeber kann Verantwortung übernehmen, indem er die Grenzen des Streikrechts in der Daseinsvorsorge klar definiert. Das Ausland macht es vor. Bessere Regelungen zu Notdiensten, längere Ankündigungsfristen und die Pflicht zum Schlichtungsversuch sind Instrumente, die dem Streik nicht die Zähne ziehen, aber die Interessen der Öffentlichkeit besser zur Geltung kommen lassen. Die scharfe Waffe Streik sollte erst gezückt werden, wenn friedliche Verhandlungen nicht weiterführen und sie soll nicht auf Dritte gerichtet werden.
Die Güterbahn wird unattraktiver
Der Streik der GDL stößt auf unser Unverständnis. Der bis dato längste Streik der Lokführer dürfte den betroffenen Unternehmen enorme Probleme bereiten. Es drohen weitere harte Einschränkungen bis hin zu einzelnen Produktionsausfällen, Drosselungen und Stillständen in der Industrie. Die deutsche Industrie ist angesichts des konjunkturellen Stillstandes ohnehin in einer fragilen Lage. Bei einem sechstägigen Streik ist eine Schadenshöhe von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro nicht unrealistisch.
Neben betrieblichen und volkswirtschaftlichen Schäden kommen auch erhebliche Imageschäden für den Verkehrsträger Schiene erschwerend hinzu. Zweifel an der ohnehin zuletzt gesunkenen Zuverlässigkeit der Bahninfrastruktur wachsen weiter, das System wird für Logistikentscheider zusehends unattraktiver. Für die klimapolitischen Bemühungen, mehr Güter auf der Schiene nachhaltig zu transportieren, verheißt das nichts Gutes.
Es gibt mehr als eine Reizfigur
Klaus Weselsky ist die Reizfigur der Republik. Schürt er den Tarifkonflikt, demütigt er seine Verhandlungspartner und nimmt Hunderttausende von Bahnkunden sowie nicht unerhebliche Teile der Wirtschaft durch Streiks in Geiselhaft? Das ist nur die halbe Wahrheit: Der Mann hat die Unterstützung seiner Mitglieder; er fordert Dinge, die in anderen vergleichbaren Branchen längst erreicht sind. Auch das Bahn-Management hat einen erheblichen Anteil an diesem Konflikt. Es hat sich mit der Existenz von zwei konkurrierenden Gewerkschaften nicht abgefunden, gießt selbst immer wieder Öl ins Feuer.
Warum hat die Bahnführung zu Beginn der Tarifrunde jegliche Verhandlungen über Arbeitszeit abgelehnt, wenn große Teile der Industrie bereits seit den neunziger Jahren 35 Stunden arbeiten? Warum gelingt es dem Bahn Management – bei so viel Steuerungsressourcen – in den letzten 20 Jahren nicht, die Bedingungen zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften zu verbessern? Es gibt mehrere Reizfiguren. Ohne Schlichtung wird es nicht gehen!
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