Kanzler Olaf Scholz wird sich zu den Folgen des Karlsruher Urteils im Bundestag äußern. Die SPD erwartet mehr als nur eine Regierungserklärung. Aber weiß die Ampel, was sie will?
Bundeskanzler Olaf Scholz
Der Titel kommt nüchtern, nahezu norddeutsch, ja hanseatisch daher. Er übertüncht jedwede Dramatik. „Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur Haushaltslage“ – so lautet der erste Tagesordnungspunkt der Bundestagsdebatte an diesem Dienstag. Etwa 25 Minuten sind für die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) einkalkuliert, gefolgt von einer zweistündigen Debatte.
Eigentlich wollte der Bundestag in dieser Woche den Haushaltsentwurf für 2024 abschließend beraten, am Freitag verabschieden. Doch das Karlsruher Urteil vom 15. November hat nicht nur der Bundesregierung einen Strich durch die Rechnung gemacht. In der Folge hat das Parlament seine Beratungen verschoben.
Knapp zwei Wochen nach dem Urteil wird Scholz erstmals ausgiebig über die Folgen sprechen. Doch kann er überhaupt etwas sagen, jenseits der bekannten Floskeln und Formeln? Weiß die Ampelkoalition, wo sie hin will? Jetzt, wo ihre Schattenhaushalte und Neben-Fonds so grandios gescheitert sind?
Am Tag vor dem Scholz-Auftritt herrscht im Berliner Regierungsviertel Ungewissheit, allenthalben sieht man Schulterzucken. Und wenig Einigkeit in der Ampel. Es wirkt, als wären die Regierungsparteien in diesen Tagen in unterschiedlichen Welten zuhause. In der Welt des grünen Vizekanzlers Robert Habeck könnte es bald sehr düster werden. Dann nämlich, wenn die Milliarden, die der Bundesregierung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen, nicht ersetzt werden.
Ein größeres Risiko für das Land gibt es kaum
„Es geht hier nicht um Wirtschaftspolitik allein“, sagt Habeck nach einer Konferenz der Landesenergie- und Wirtschaftsminister. „Daran hängen Arbeitsplätze, an den Arbeitsplätzen hängt gesellschaftliche Stabilität. An der gesellschaftlichen Stabilität hängt demokratische Stabilität.“ Soll heißen: Findet die Regierung keine Lösung für die Haushaltskrise, gefährde das – möglicherweise – die Demokratie. Ein größeres Risiko für das Land gibt es kaum.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr steht am Montag vor dem Fraktionssaal im Reichstagsgebäude und zieht rote Linien. Sie trennen die Welt der Liberalen in diesen Tagen von jener der Koalitionspartner – und der Opposition. Aus seiner Sicht gebe es zwei Möglichkeiten, mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzugehen. Erstens: die Schuldenbremse zu schleifen. Das halte er für falsch. Zweitens: „die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren“. Also: sparen.
FDP will nicht über Notlage für 2024 reden
Die Gräben zwischen FDP, Grünen und SPD scheinen vor diesem Dienstag kaum überbrückbar. Den Ideen der Koalitionspartner, entweder eine neuerliche Notlage für 2024 zu erklären oder die Schuldenbremse gleich zu reformieren, erteilt Dürr eine Absage: „Es muss sachlich begründet sein, dass eine Haushaltsnotlage entstanden ist, und ich sehe für 2024 keinen neuen sachlichen Grund, um genau darüber zu diskutieren.“
Und dann: Er wisse, dass die Schuldenbremse unter Druck stehe. Er halte insbesondere die Reaktionen der CDU-Ministerpräsidenten für falsch, die die Schuldenbremse in Teilen reformieren wollen. Er sei zuversichtlich, dass man „die Schuldenbremse im Grundgesetz auch so halten kann“.
Es käme jetzt auf den Kanzler an. Bei den Grünen erwartet man, dass Scholz mit der Regierungserklärung eine Art Fahrplan liefern wird. Und bei der SPD? „Niemand weiß, was am Dienstagmorgen passieren wird“, sagt ein SPD-Abgeordneter am Montagnachmittag. „Das macht es etwas schwierig für uns.“ Der Kanzler sei ja „für Überraschungen gut“, sagt der Parlamentarier, anspielend auf das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, verkündet am 27. Februar 2022.
Aber, dass so etwas noch mal kommt? Eher unwahrscheinlich, heißt es in der SPD. In deren Reihen blickt man mit einer gewissen Anspannung auf die Rede des Kanzlers. Dessen kommunikative Schwäche, seine zuweilen oberlehrerhafte Art treten jetzt in den Vordergrund.
In der Krise fallen solche Defizite besonders auf; es ist ja nicht so, als habe Scholz nicht seit jeher belehrt. Aber eine „Spiegel“-Titelseite zum „Absturz eines Besserwissers“ kratzt natürlich erheblich am Ansehen des Kanzlers.
„Scholz soll sein Herz sprechen lassen“
Eigentlich müsse Scholz nun mehr bieten als nur eine Regierungserklärung, heißt es in der SPD-Bundestagsfraktion. Im besten Falle lege er nach der Hälfte seiner Rede das Manuskript zur Seite und lasse „sein Herz sprechen“, sagt ein anderer SPD-Abgeordneter.
Doch kann man das von Scholz erwarten? Es entspräche so gar nicht seinem Stil. Dabei, so klingt es in der Fraktion, sehnten sich die Menschen nach Orientierung. Und im Zweifel verstünden sie es, dass bei derart großen Herausforderungen zuweilen eben auch große Fehler passieren.
Ich kann mich nicht an so turbulente Zeiten erinnern.
Lars Klingbeil, SPD-Chef
Für Selbstkritik aber ist Scholz nun nicht eben bekannt. Dabei ist es ja richtig: Diese Bundesregierung hat eine Vielzahl von Krisen zu managen. „Ich kann mich nicht an so turbulente Zeiten erinnern“, sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Wochenende beim Landesparteitag der SPD Sachsen in Leipzig und listete auf: Ukraine, Israel, Klima, 20 Prozent für die AfD, Pandemie, Reichsbürger und nun noch das Verfassungsgerichtsurteil. Früher habe man über zehn Euro Praxisgebühr gestritten.
Die Ratlosigkeit ist groß
Bemerkenswert an Klingbeils Rede war, dass er auf Lobpreisungen für Scholz ebenso verzichtete wie darauf, die Geschlossenheit der SPD zu beschwören. Längst wächst in deren Reihen die Nervosität. Fraktionschef Rolf Mützenich demonstriert Distanz zur Koalition. Er schließt ebenso wie Klingbeil Sozialkürzungen aus.
Aber muss Scholz nicht genau hier etwas von seinen Leuten einfordern? Allein schon, um den Koalitionspartnern etwas abverlangen zu können? Die Ratlosigkeit ist groß. So groß, dass selbst eine Regierungserklärung mit konkreten Ideen diese Ratlosigkeit kaum auflösen dürfte.
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