Die Ampel steht schlecht dar, aber auch CDU/CSU liegen bei nur 30 Prozent. Wahlforscher Matthias Jung führt das auch darauf zurück, wie unbeliebt Parteichef Merz ist.
Matthias Jung, Vorstand des Meinungsforschungsinstituts Forschungsgruppe Wahlen.
Herr Jung, hat die AfD ihre erfolgreichsten Zeiten hinter sich? Sie plagt sich mit Skandalen herum, und Sie sehen Sie bei der Sonntagsfrage bei 17 Prozent, so wenig wie seit bald einem Jahr nicht.
Die AfD steht unter Druck, verliert an Zustimmung, wegen der Skandale ihrer beiden Europa-Spitzenkandidaten und durch die Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Aber 17 Prozent wäre immer noch ein Rekordergebnis bei einer Bundestagswahl. Die Wähler sind volatil, die Angaben bei Umfragen noch volatiler. Vorsicht also!
Ihre letzte Umfrage zur Europawahl zeigt andere Werte für die Parteien als die zur Bundestagswahl. Gibt es signifikante Unterschiede bei der Sonntagsfrage zwischen einer Bundes- und einer Europawahl?
Ja. Die Grünen haben bei einer Europawahl die größere Chance zu einem besseren Ergebnis als bei einer Bundestagswahl. Die Grünen-Wähler haben eine überdurchschnittliche Affinität zu Europa, die Grünen können daher besser mobilisieren. Bei der AfD ist es ambivalent: Ihre Anhänger halten Europa für weniger wichtig als Deutschland. Andererseits wird bei einer Europawahl mehr experimentiert, was der AfD eher nützt. Aktuell muss die AfD das Szenario fürchten, dass in der Wahrnehmung vieler Wähler die Skandale ihrer eigenen Europapolitiker größer sind als etwaige EU-Skandale, was der AfD eher schadet.
Wagen Sie schon jetzt eine Aussage zum Ausgang der Europawahl am 9. Juni? Die Union auf Platz Eins, und welche Partei auf Rang Zwei?
Ich wundere mich immer über Überschriften, vor allem in Online-Medien: Union stärkste Partei. Das ist doch trivial! Die CDU/CSU werden auf Platz Eins landen, mit weitem Abstand. Interessanter ist die Frage, wie viel über 30 Prozent die Union erreichen wird. In der langfristigen Betrachtung der Union sind ja 30 Prozent eher schwach.
Jetzt liegt die Union bei 30 Prozent. Sie wird damit große Schwierigkeiten haben, bei der Bundestagswahl diesen Wert wirklich einzufahren.
Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen
Die Ampel steht schlecht da, und die wichtigste Oppositionspartei Union liegt bei nur 30 Prozent. Woran liegt das?
Die Bundesregierung wird in der Tat desaströs bewertet, ohne dass die Union davon profitiert. Viele Bürger sehen zur Ampel im demokratischen Spektrum keine glaubwürdige Alternative. CDU/CSU können von der schlechtesten Regierungsbewertung, wie das Politbarometer zeigt, nicht profitieren. Zum Vergleich: Als Rot-Grün 2005 auf dem Tiefpunkt stand, kam die Union in den Umfragen auf um 50 Prozent Zustimmung. Jetzt liegt die Union bei 30 Prozent. Sie wird damit große Schwierigkeiten haben, bei der Bundestagswahl diesen Wert wirklich einzufahren. Der für die Demokratie wichtige Mechanismus, wonach die stärkste Oppositionskraft die Regierung im Wartestand ist, ist stark beschädigt.
Warum?
Die Union positioniert sich in der Wahrnehmung vieler Menschen inzwischen programmatisch zu weit weg von der Mitte. Sie hat sich zu stark nach rechts bewegt. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat in der Wählerschaft ein schlechtes Image, er ist unbeliebt. Selbst von den CDU/CSU-Anhängern wird Merz nur sehr bescheiden bewertet. Kurzum: Die Union hat ein Kurs-Problem und ein Merz-Problem.
In der Europapolitik sind sich Union, SPD, Grüne und FDP weitgehend einig.
Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen
War es von der SPD wahlstrategisch klug, den unbeliebten Kanzler Olaf Scholz auf ihre Europawahlplakate zu drucken?
Wen hätte die SPD denn plakatieren sollen? Frau Barley?
Es handelt sich um eine Europawahl. Sie ist die SPD-Spitzenkandidatin.
In Wahrheit ist es nur formal eine Europawahl. Faktisch wird sie von der Bundespolitik geprägt, gilt als kleine Bundestagswahl. Das Image der Union etwa wird auch nicht von Manfred Weber, sondern von Merz und in Bayern noch von Markus Söder geprägt. Hinzu kommt: In der Europapolitik sind sich Union, SPD, Grüne und FDP weitgehend einig.
Die FDP, die an diesem Wochenende ihren Parteitag hat, liegt in Ihrer Sonntagsfrage stabil bei 4 Prozent. Ist die FDP tot?
Nein. Die FDP kennt solche Phasen. Aber ihre strukturellen Schwierigkeiten sind groß. In vielen Positionen steht die FDP rechts von der Union, regiert aber mit SPD und Grünen. Daraus folgt ein Dilemma: Klassische FDP-Wähler werfen ihr eine falsche Politik vor – und in der Koalition gilt sie als Störenfried, als Krawallmacher. Beides schadet ihr.
Sie taxieren das Bündnis Sahra Wagenknecht bei 5 Prozent. Woher stammen die BSW-Anhänger? Wie sehen die Zahlen im Osten aus, wo im September drei Landtage gewählt werden?
Das BSW steht im Osten deutlich besser dar als im Bundesschnitt. Das liegt an der permanenten Proteststimmung im Osten. Davon profitieren AfD, Linke und BSW. Der Austausch zwischen AfD und BSW ist groß. Wenn das BSW so stabil bleibt wie bisher, kann es damit rechnen, in die Landtage in Brandenburg, Sachsen und Thüringen einzuziehen. Wäre am Sonntag Wahl, würde sie in allen diesen drei Ländern problemlos die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.
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