Was die Schweizer Schuldenbremse bringt

was die schweizer schuldenbremse bringt

Die Schweizer Flagge weht vor dem Matterhorn.

Der Schweizer Finanzminister, Bundesrat Otto Stich, weinte Tränen im Ständerat. Trotz tiefroter Zahlen wollten die Politiker in den 1990er-Jahren nicht freiwillig von den Honigtöpfen der Steuergelder ablassen. Sein Nachfolger, Kaspar Villinger, erkannte die politischen Zwänge. In einer schlaflosen Nacht suchte er sich statt des politischen Establishments einen in der Schweiz noch mächtigeren Verbündeten: das Volk. Heraus kam mit der Schuldenbremse ein wirtschaftspolitischer Exportschlager.

Wie funktioniert die Schweizer Schuldenbremse? Die Ausgaben dürfen höchstens so hoch wie die Einnahmen sein. Da­mit die Finanzen nicht unplanbar mit dem Herzschlag der Konjunktur zappeln, wird bei der Berechnung die gegen­wärtige Wirtschaftslage berücksichtigt. Wäh­rend einer Hochkonjunktur müssen Überschüsse erwirtschaftet werden, während einer Rezession sind Defizite er­laubt. Überschreiten die Ausgaben aber den erlaubten Maximalbetrag, so muss die Regelverletzung in den nächsten Haushalten zwingend abgebaut werden. Im langfristigen Mittel sind die Staatsfinanzen ausgeglichen.

Was zeichnet die Schweizer Schuldenbremse aus? Sie ist direktdemokratisch, strikt, transparent, verbindlich und schonend für den Föderalismus:

Die Schweizer Schuldenbremse ist direktdemokratisch, weil sie das Ergebnis einer Volksabstimmung ist. Mit fast 85 Prozent Ja-Stimmen wurde sie vom Schweizer Stimmvolk im Dezember 2001 angenommen und zwei Jahre später umgesetzt. Eine überwältigende demokratische Mehrheit! Sie hat eine klare politische Legitimation unmittelbar durch das Wahlvolk, nicht mittelbar durch Parteien im Parlament wie in Deutschland. Das erschwert unabhängig von (nötigen) ökonomischen Fachdiskussionen einen Missbrauch für rein parteipolitische Zwecke.

Klare Vorschriften für den Abbau übermäßiger Schulden

Die Schweizer Schuldenbremse ist strikt, weil sie keine strukturelle Neuverschuldung zulässt. In Deutschland sind auf Bundesebene noch 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung als Nettokreditaufnahme zulässig. In der Schweiz steht eine glatte Null als Zielgröße, was kontrovers diskutiert wird. Anstatt von Nettoschulden zielt die Schweiz zudem auf das Brutto beim Haushalt. Die Schweizer Regel steuert die Staatsaus­gaben damit direkt, die deutsche Schuldenbremse wirkt indirekt auf die Aus­gaben.

Die Schweizer Schuldenbremse ist transparent, weil sie zwischen den Arten einer Regelverletzung bei der Verbuchung und der folgenden Reaktion deutlich unterscheidet. Unter- oder überschreiten die ordentlichen Ausgaben den Maximalbetrag, so wird die Differenz ei­nem Ausgleichskonto belastet. Das kann durch echte Ausgabenversäumnisse, aber auch Schätzfehler etwa bei der Konjunkturprognose eintreten. Stellt das Par­lament hingegen eine Notsituation fest, so werden diese außerordentlichen Aus­gaben auf einem separaten Konto fest­gehalten. Für den deutschen Bürger ist es durchaus herausfordernd, angesichts der komplexen Haushaltsberechnungen in Berlin noch den Durchblick zu behalten.

Die Schweizer Schuldenbremse ist verbindlich, weil sie klare Vorschriften für den Abbau der übermäßigen Schulden macht. Für den Ausgleich von ordent­lichen Ausgabenverletzungen hat man drei Jahre Zeit, bei der Bereinigung von Notsituationen sogar sechs Jahre. Der klare Zeithorizont erhöht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Regel. Er erleichtert auch die Planungen für Gesellschaft und Wirtschaft, was sich bei Steuern und Staatsausgaben in einem absehbaren Zeitfenster ändern wird. In Deutschland gibt es keine bindenden Tilgungsvorschriften für Defizite etwa aufgrund der Konjunktur oder von Ausnahmesituationen. Das Heilen der Schuldenbremse erfolgt „konjunkturgerecht“ und durch individuellen Parlamentsbeschluss.

Ansonsten ziehen ih­re Bürger weiter

Die Schweizer Schuldenbremse ist schonend für den Föderalismus, weil sie nicht in die Kantone durchregiert und nur für die Bundesebene gilt. Statt einer Zentralisierung von Macht in Bern vertraut man in der Schweiz auf eine höhere Autonomie der dezentralen Ebene. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Kantonspolitiker sind nicht nur nah an den Bedürfnissen der eigenen Bürger dran. Durch den Wettbewerb bei regionalen Steuern mit den anderen Kantonen müssen sie sich beim Preis-Leistungs-Verhältnis staatlicher Leistungen auch besonders anstrengen.

Ansonsten ziehen ih­re Bürger über kurz oder lang schlicht ein paar Kilometer weiter über die Kantonsgrenze. Die Kantone haben entsprechend meist eigene, individuelle Fiskalregeln. In Deutschland gilt die Schuldenbremse hingegen einheitlich für Baden-Württemberg gleich wie für Bremen, unabhängig von regionalen Strukturen und Präferenzen.

Hat die Schweizer Schuldenbremse ihr Ziel erreicht? Ja. Der Schuldenstand der echten Schweiz ist im Vergleich zu einer hypothetischen Schweiz ohne Schuldenbremse gesunken, wie man mit modernen statistischen Methoden zeigen kann. Die öffentlichen Investitionen sind dabei seit Jahren stabil, die Qualität der öffentlichen Leistungen ist gut. Wer mit der SBB statt der Deutschen Bahn fährt, kann dies mit einem tiefen Seufzer wahrscheinlich bestätigen. Auch die Qualität der Staatsrechnung hat sich verbessert. Die Prognosefehler zwischen Planung und tatsächlicher Abrechnung beim öffentlichen Haushalt sind zurückgegangen. Als Bürger kann man den staatlichen Finanzplanungen mehr vertrauen.

Ist die Schweizer Schuldenbremse also uneingeschränkt zu empfehlen? Nein. Der Tilgungszeitraum beim Ausgleichskonto ist starr und kann in eine anhaltende Krisenzeit fallen. Die Berechnung vom Konjunkturfaktor trifft nicht immer die Realität.

Und vor allem: Der Staat wird angesichts des steigenden Anteils gebundener Ausgaben dank Faktoren wie der Demographie weiter eingeschränkt. Wenngleich bei klima- und wirtschaftsschädlichen Subventionen auch in der Schweiz noch milliardenschwere Luft für Konsolidierungen ist, so sieht mancher Beobachter Investitionen schon jetzt in Gefahr. Erste Löcher bei den Regeln wurden zudem sichtbar. So wurde der Abbau der während der Pandemie eingegangenen Verschuldung auf ungefähr elf Jahre verlängert. Ausnahmsweise.

Was kann man für die deutsche Diskussion mitnehmen? Das institutionelle Design der Schuldenbremse ist zwar wichtig. Die Regeln müssen transparent und nachvollziehbar sein, verbindliche Sanktionen sollten bei ihrer Verletzung folgen. Entscheidend für den Erfolg ist aber nicht die technische Ausgestaltung, sondern die politische Legitimation. Nicht der Wille der Politiker, sondern der Wille des Volkes zählt. Man sollte bei den geschlossenen Gesellschaften im mo­numentalen Reichstag oder in den hy­permodernen Fernsehstudios ruhig öfter das Fenster öffnen, sonst verpasst man die Stimmen auf den Straßen der Repu­blik. Der Alpennachbar im Süden hat dies verinnerlicht. Die Schweizer Schuldenbremse wird nun 20 Jahre alt. Sie wird diskutiert und kritisiert, aber auch gefeiert und wertgeschätzt – zu Recht!

Christoph A. Schaltegger ist Direktor am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern.

Martin Mosler ist Bereichsleiter am IWP.

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