Sehr viele Migranten brechen Sprachkurse ab oder scheitern an den Prüfungen. Die Bilanz bei den Integrationskursen ist alarmierend. Manche fordern, die Ansprüche zu senken. Aber es gibt auch andere Ideen.
Sprache ist eine Hürde auf dem Weg in deusche Jobs.
Zuletzt schlug der Bundesrechnungshof Alarm: Von den Geflüchteten aus der Ukraine, die an einem Integrationskurs teilgenommen haben, haben weniger als die Hälfte den Kurs erfolgreich abgeschlossen. Die Angabe stammt aus einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofs, der bereits bekannt wurde, den Haushaltsausschuss des Bundestags aber noch nicht passiert hat. Hauptgrund sollen die Sprachtests sein. Dass das Sprachniveau B1 als Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss des Integrationskurses eine hohe Hürde darstellt, belegen auch die Zahlen des Bundesamts für Migration. Mehr als die Hälfte aller Teilnehmer von Integrationskursen schaffen dieses Niveau nicht und beenden den Kurs daher erfolglos. Viele Migranten erreichen aber durchaus das darunterliegende Niveau A2. Mit mindestens diesem Sprachlevel schließen immerhin 90 Prozent der Prüflinge den Integrationskurs ab. Sind die Ansprüche in Deutschland also zu hoch? Sollten Integrationskurse gar nicht mehr das Ziel B1 anpeilen, also ein Niveau, das die selbstständige Anwendung des Deutschen ermöglicht, sondern bei A2 haltmachen, also beim elementaren Gebrauch von Sprache in Routinesituationen? Soll „mein Name ist…“, „ich arbeite als…“ und „ich hätte gern…“ für den Start genügen?
Aus der Sicht von Menschen, die sich mit der weiteren Ausbildung von Migranten beschäftigen, wäre ein Absenken der Anforderungen keine gute Option. „Für den praktischen Teil mag das elementare A2-Sprachniveau vielleicht noch genügen“, sagt Christian Henke, Geschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf (HWK), „um dem Unterricht in der Berufsschule folgen zu können und am Ende schriftliche Prüfungen zu bestehen, ist B1 aber die Mindestvoraussetzung.“ Henke hält darum nichts davon, die Sprach-Ansprüche bei den Integrationskursen zu senken. Die Abbrecherquote bei Auszubildenden habe schon jetzt deutlich zugenommen. Wer nicht genug Deutsch könne, schaffe einfach die Anforderungen nicht. Damit sei dann auch Betrieben, die händeringend Fachkräfte suchten, nicht geholfen. „Die Anforderungen in Berufen etwa aus den Bereichen Elektro oder Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik sind so gestiegen, dass man auch gegenüber den Kunden nicht verantworten kann, bei der Ausbildung Abstriche zu machen“, sagt Henke. Und ohne ausreichende Sprachkenntnisse sei eine Ausbildung im bewährten dualen System eben nicht zu schaffen.
Auch der Geschäftsführer für Bildung und Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskammer NRW, Wolfgang Trefzger, hält sprachliche Bildung für wichtig, um qualifizierte Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Er empfiehlt, das Angebot an Integrations- und Berufssprachkursen im In- und Ausland auszubauen. Auch Formate wie Wochenend- und Teilzeitkurse, Onlineunterricht und Kurse mit Kinderbetreuung könnten Lernende unterstützen. Dass es in Zukunft einfacher sein soll, etwa erfahrene IT-Fachkräfte ohne den Nachweis von Deutschzertifikaten einzusetzen, wenn der Arbeitgeber dies befürwortet, hält Trefzger für sinnvoll. Genau wie die neue „Chancenkarte“, die auf einem Punktesystem basiert und für ausgebildete Fachkräfte mit guten Englischkenntnissen weitere Chancen eröffnet.
Für den Ausbildungsmarkt seien gute Deutschkenntnisse jedoch unumgänglich. „Wir müssen zu pragmatischen Lösungen kommen. Sprachzertifikate sollten keine Hürde auf dem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt sein“, sagt Trefzger. Darum sollte die Fachsprache eine wichtigere Rolle spielen. „Wenn Migranten schon wissen, in welchem Bereich sie später arbeiten wollen, könnte es sinnvoll sein, wenn die gezielte Vorbereitung auf die berufliche Fachsprache einen höheren Stellenwert in den Sprachkursen einnimmt.“
Das sehen auch Sprachwissenschaftler so. „B1 als Zielniveau für allgemeine Integrationskurse ist für die breite Masse zu hoch“, sagt der Sprachwissenschaftler Ibrahim Cindark vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Bis 2015 seien viele Migranten nach Deutschland gekommen, die oftmals schon in ihren Heimatländern Deutsch gelernt hätten. Heute kämen mehr Menschen mit null Vorkenntnissen. Dass es für sie inzwischen ein differenziertes Angebot gebe, das von Alphabetisierungskursen bis zu Intensivkursen für Schnelllerner reiche, sei im Prinzip gut. Allerdings müsse es auch tatsächlich angeboten werden. Abseits der Metropolen ist das zum Beispiel ein Problem, wenn die Mindestteilnehmerzahl für die spezifischen Lernergruppen nicht erreicht wird. Dann werden oft doch Menschen mit höchst unterschiedlichen Vorkenntnissen in eine Klasse gesteckt, damit sich der Kurs für die Anbieter lohnt. „Es müsste also differenzierte Angebote für alle Lerntypen auch tatsächlich in ganz Deutschland geben“, sagt Cindark.
Kurse stärker an berufsspezifischer Sprache zu orientieren und womöglich auch in Betriebe zu verlagern, könnte eine andere Möglichkeit sein, die Sprachhürden vor dem Arbeitsmarkt zu senken. „Betriebe selbst sind gute Sprachlernorte“, sagt Cindark. Seine Studien hätten gezeigt, dass es oft schon reiche, Mentoren oder Ausbilder vor Ort wenige Tage weiterzubilden und für kommunikative Praktiken zu sensibilisieren, um Lernerfolge beim Arbeiten zu steigern. So hat er etwa in der Gastronomie und in Holz und Metall verarbeitenden betrieblichen Maßnahmen festgestellt, dass es viel Frust gibt, wenn Auszubildende, auch wenn sie mit B1-Zertifikat an den Start gehen, dann doch nicht über ausreichende Kenntnisse für den Berufsalltag verfügten. Seien Ausbilder darauf vorbereitet und wüssten, wie man etwa durch gezielte kommunikative Strategien und Übersetzerhilfe wesentliche Fachsprache vermittle, würde das den Erfolg im Job deutlich verbessern.
Auch der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt plädiert für mehr Pragmatismus und flexible Wege bei der Eingliederung bereits qualifizierter Menschen etwa über Praktika. Bisher sei das Projekt, Menschen durch Sprachkurse zu schleusen und dann in anspruchsvolle Jobs zu bringen, gescheitert. Wartezeiten müssten weiter verringert, das Kursangebot in der Fläche verbessert werden. Dazu könne man auch ehrenamtliche Angebote stärker einbinden. Die Koordinierung müsse vor Ort geschehen, auf Bundesebene müssten nur die Standards gesetzt werden. „Deutschland verfolgt ambitionierte Ziele beim Spracherwerb“, sagt Thränhardt. Das sei angesichts des Fachkräftemangels auch richtig, benötige dann aber auch den Willen, die nötigen Strukturen zu schaffen – und zu unterhalten.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, 46 Prozent aller Ukrainer brächen die Sprachkurse ab. Tatsächlich erfassen die Zahlen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur die Zahl der Personen, die einen Kurs, warum auch immer, beenden. 46 Prozent dieser Menschen sind Ukrainer.
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