Friedrich Merz’ Kalkül, das schwarz-grüne Fass aufzumachen

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat über die Regierungsoption Schwarz-Grün sinniert, sollte es für ein Bündnis mit der FDP nicht reichen. Das hat zu Unruhe in der Partei geführt. Was treibt ihn, den Taktiker?

friedrich merz’ kalkül, das schwarz-grüne fass aufzumachen

WELT-Redakteur Nikolaus Doll Claudius Pflug

Zugegeben, der Zeitpunkt ist unglücklich gewählt: CDU-Chef Friedrich Merz hat – ohne Not, auf eine aktuelle politische Lage reagieren zu müssen –, das schwarz-grüne Fass aufgemacht. Und natürlich hätte ihm klar sein müssen, dass seine jüngsten Überlegungen zu möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl 2025, in denen er ein Regierungsbündnis mit den Grünen nicht explizit ausschließt, als klare Avancen an die Grünen ausgelegt werden. Ausgerechnet gegenüber jener Partei also, die der CDU-Vorsitzende vor nicht allzu langer Zeit noch als „Hauptgegner“ in der Ampel-Regierung etikettiert hat.

Merz’ jüngster Gedankengang kann, so gesehen, durchaus Kopfschütteln auslösen. Doch wer weiß, was Merz treibt, erkennt: Der CDU-Chef ist nicht der politische „Grobmotoriker“, für den ihn der „Focus“ nach Bekanntwerden seiner jüngsten Überlegungen gehalten hat, sondern – in diesem Fall – ein Taktiker.

Merz sieht drei Dinge: Bürgerlich-konservative bis rechtskonservative Wähler reizt wenig so sehr wie die Vorstellung, dass Union und Grüne zusammenarbeiten. Nur: Wer der CDU weiterhin einen Linksdrall unterstellt, dabei ohnehin längst mit der AfD liebäugelt oder sie bereits gewählt hat, dürfte auch nicht mehr mit Aussicht auf eine schwarz-rote Koalition und einer Frontstellung gegenüber den Grünen zurückzugewinnen sein. Der unterstellt der Union ohnehin, grundsätzlich ähnlich wie die Ampel-Koalition zu regieren, wenn Merz im Kanzleramt säße.

Diese Leute haben nicht vergessen, dass es eine Kanzlerin von der CDU war, die die Migrationskrise verschärft und die Atomkraftwerke begraben hat. Merz kann am rechten Rand kaum etwas (zurück-)gewinnen, es gilt aber weiterhin die Erkenntnis: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Die AfD ist nicht mehr zu halbieren, egal, wie sich Merz gegenüber den Grünen absetzt.

Die rote Falle

Zweitens: Das Verhältnis von CDU und SPD ist zerrüttet. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht irgendein Sozialdemokrat zu harten Attacken gegen Merz hinreißen lässt. Je stärker die Umfragewerte für die SPD sinken, desto schärfer werden die Angriffe. Schwarz-Rot ist derzeit keine Option im Bund, denn Regierungsbündnisse bauen auch darauf auf, dass die Hauptfiguren miteinander umgehen können. Das ist bei Union und SPD aktuell nicht der Fall, könnte sich aber nach einer möglichen Wahlniederlage der SPD 2025 ändern.

Der letzte und entscheidende Punkt ist aber: Da Koalitionen der Union mit der AfD und Linken ausgeschlossen sind und mit der Werteunion und Wagenknecht-Partei illusorisch, bleiben Merz für die Zukunft nur Bündnisse mit SPD oder Grünen. Die FDP wird wegen ihrer niedrigen Umfragewerte wohl 2025 kein Faktor mehr sein, der entscheidend für Koalitionsüberlegungen ist. Soll Merz nun alles auf die SPD setzen, indem er Bündnisse mit den Grünen ausschließt?

Damit würde er wie Angela Merkel in die rote Falle laufen. Merkel war zwar drei Legislaturperioden Kanzlerin einer schwarz-roten Koalition, aber ihre Agenda war in vielen Punkten rot-grün. Notgedrungen. Weil die SPD – mangels Alternativen für Merkel – den Druck dafür aufbauen konnte.

In diese Falle will Merz nicht tappen, deshalb schließt er Koalitionen mit den Grünen nicht aus. Er will politischen Spielraum bei künftigen Koalitionsverhandlungen. Darum geht es. Keine Sorge also: Für Friedrich Merz wäre ein Bündnis mit den Grünen nicht nur keine Liebesheirat, sondern eine Zwangsehe.

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