Kultrestaurant Kronenhalle wird 100 Jahre alt

Ein Speiselokal mit Ausstrahlung in die ganze Welt. Seit 100 Jahren ranken sich Legenden und Gerüchte um die «Kronenhalle» in Zürich. Hier wurde bei bodenständigen Gerichten grosse Literatur geschrieben, Politik diskutiert und Liebe geschworen.

Viele Legenden und oft auch die jüngsten Gerüchte schweben durch die Räume der Kronenhalle wie die Duftschwaden und Gerüche von der Voiture, die wie ein Wägelchen aus dem Schlaraffenland mit dem Tagesangebot an die Tische geschoben wird. Die Voiture ist ein Spiegel des Lokals: rustikaler Glamour!

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ZVG /

Am Mittwoch Rindszunge, Kalbskopf und Olma-Schüblig, aber mit silberner Argenterie, aus glänzendem Kupfergeschirr geschöpft, virtuos drapiert und auf den ebenso schönen wie schlichten Tellern serviert, die wie das hauseigene Wasser mit vornehmer Zurückhaltung durchgestylt sind. Understatement zu hohen Preisen.

Viele Gäste erfüllen sich, wenn sie hier einen Tisch reservieren, einen Traum. Und auch der Raum selbst ist schon ein Traum: Fast 100 Gemälde von Miró bis Picasso öffnen wie kleine Fenster den Blick in andere Welten.

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ZVG /

Plötzlich wechselt ein Pärchen die Plätze – die beiden sitzen sich nicht mehr gegenüber, sondern verliebt nebeneinander. Und schauen auf den rot leuchtenden Sonnenuntergang auf blauem Grund von Chagalls «Coucher du soleil» von 1974. Der Kuss glückt. Und schon verwandelt sich das kulinarische Museum in einen Tempel für Liebende.

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Geri Born /

Auch wenn man noch nie da war, hat man rasch das Gefühl, das Lokal schon lange zu kennen. Es ist eine Art Archetyp der Gastfreundschaft. Dafür sorgt das Testament von Gustav Zumsteg (1915–2005): Dort sind die Hängung der Bilder festgelegt, die Gerichte auf der linken Seite der Speisekarte und sogar die Art, wie die grüne Tischdecke jeweils mit zwei weissen Blumenranken in den Ecken zu liegen hat.

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Jan Riephoff/laif /

Gefunden hat der Seiden- und Stoffhändler Zumsteg, der die Couturiers Cristóbal Balenciaga und Yves Saint Laurent belieferte, das Muster auf einem Flohmarkt in Paris. Markenzeichen: Eleganz mit Bodenhaftung.

Ja, hier möchte man Feste feiern! Aber auch wenn man gar nichts zu feiern hat, wird jeder Besuch zu einem Fest. Damit erinnert das Lokal an Hemingways Roman «Paris, ein Fest fürs Leben». Dort schulte Gustav Zumsteg seinen Geschmack und sein Auge. Und was er erblickte, kaufte er ein und machte aus dem Restaurant seiner Mutter Hulda Zumsteg, die 1984 im Alter von 93 Jahren starb, ein Museum. Beim Zürcher Maler Varlin hatte Gustav ihr Porträt in Auftrag gegeben. Es ist so platziert, dass Hulda bis heute ihr Werk überwacht: die «Kronenhalle», die sie 1924 übernahm und die heute ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert.

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Blick /

Mutter und Sohn erschaffen eine Legende

Das Lokal ist damals eine eigentliche Bierbeiz. Eine Suppe kostet 25 Rappen. Die hätte der irische Autor James Joyce zwar, wie er schrieb, auch direkt vom Boden der sauberen Bahnhofstrasse löffeln können, aber der wohl berühmteste Wortspieler der Literaturgeschichte kam dann doch lieber hierher, um an seinem Jahrhundertwerk «Ulysses» zu schreiben – heute hängt sein Bild neben Dürrenmatt und Fellini.

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ZVG /

In den 50er-Jahren steigt Sohn Gustav ins Geschäft ein. Mutter und Sohn haben einen Sinn für den Witz der Bohémiens: Abgebrannte Schriftsteller und Künstler dürfen ihr Essen mit einem Gedicht oder einer Skizze bezahlen. Künstler dürfen auch gegen die Kleiderregeln verstossen. Die gibt es nämlich. Aktuell unerwünscht sind: Basecap-Mützen, Shorts und Shirts, egal ob mit oder ohne Krokodil.

Wichtiger als teure Logos sind ohnehin die Namen der Gäste. In den Gästebüchern, die seit den 40er-Jahren geführt werden, finden sich Stars aus allen Sparten: von Mick Jagger über Plácido Domingo, von Roger Federer bis Günter Netzer, von Alberto Giacometti bis Andy Warhol, der ein Dollarzeichen ins Buch malte. Ob der ehemalige US-Präsident George W. Bush mit Dollar bezahlte, weiss man nicht, aber er lobte die Küche, denn er habe «5 pounds» zugenommen. Christian Millau vom weltberühmten Gourmetführer formulierte raffinierter: «Die Mariage von Kunst und Kulinarik hat hier ihren Altar gefunden.»

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Keystone /

Ein Unfall und eine Schoggimousse

Stars und Stammgäste werden in der «Kronenhalle» mit Namen begrüsst. Auch ich – obwohl ich nicht mal Stammgast bin. Grund: ein Verkehrsunfall. Meine Eltern, schon lange getrennt, wollten 1981 gemeinsam mit mir nach Andalusien in die Ferien. Vor Freude raste ich rasch in die Papeterie Racher und schaute, damit nichts passiert, in den neuen Rückspiegel meines Fahrrads. Da brach ein Auto aus der Kolonne aus. Ich flog durch die Luft, das Auto fuhr über meinen Körper. Zum Glück wars nur ein Fiat … Ich stand auf – und sackte zusammen. Da es damals noch keine Handys gab, rannte ein Mann zum nächsten Telefon. Und das war in der «Kronenhalle».

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Blick /

Schwach erinnere ich mich an eine Frau mit schwarzer Kleidung und weisser Schürze, die sich über mich beugte und sagte: Wenn du aus dem Spital kommst, bekommst du bei uns eine Schoggimousse. Sie hat ihr Versprechen gehalten und meinen Namen ihren Kolleginnen weitererzählt. Woher sie ihn kennen, wissen sie heute wohl nicht mehr. Aber ich weiss, weshalb ich in der schwarzen Mousse mit weissem Greyerzer Rahm bis heute die schwarz gewandete Kellnerin mit ihrer weissen Masche am Rücken sehe, deren Enden wie zwei Engelsflügel flattern.

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Sabine Wunderlin/«Sobli»/RDB /

Das Lokal ist Stadt- und Stammhirn zugleich. Gern würde ich den dritten Geburtstag meiner Tochter hier feiern, dummerweise ist dann gerade Sechseläuten-Montag und das Lokal in der Hand von Zünften, deren Wappen an den Wänden prangen. Gefeiert hätte ich mit einem Schnitzel, das sich so schön wellt wie das Meer im Frühlingssturm. Zusammen mit meinem Vater und meiner Mutter sowie meinem Sohn, der gerade ins Gymi kam. Meine Eltern würden mir raten, ihn mit den «Ufzgi» hierherzubringen. So wie ich als Kind hier nachmittags etwas knabbern durfte, wenn eine Geografie-Prüfung drohte. Denn hier konnte ich nicht schreien vor Ärger über die vermaledeiten Stadt- und Gesteinsnamen wie Quarzgranitgneisslgleissglimmer …

Ja, hier benimmt man sich automatisch gut: Es ist eine Bühne, auf der jeden Abend das gleiche und doch immer neue Stück gespielt werden. Das Dekor bleibt gleich, Regie führen die Kellnerinnen, nur die Darsteller an den Tischen wechseln – da bleibt fürs Essen die Statistenrolle. Aber auch das würdigte der Testesser des «GaultMillau» 2008 wortgewaltig: «Und wenn man ein Tatar bestellt, gibts noch ein bisschen Action Painting … Bei jedem Kellner schmeckt es anders, aber wir lieben es jedes Mal genauso wie die einzelnen Kellner und Kellnerinnen, die dieses Haus mit ihrer Seele beseelen.»

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Keystone /

(Erfolgs-)Rezepte für die Ewigkeit

Jedenfalls wohnt den Gerichten, die seit je die gleichen sind, ein eigenartiger Zauber inne: Beim Essen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, ja, jeder Bissen trägt Erinnerungen an frühere Besuche in sich: Das letzte Mal, als mich Bruno Ganz für ein Gespräch über «Heidi» einlud, nahm er den Randensalat und Sashimi und erzählte voll Konzentration von seiner nächsten Filmrolle. Ich dankte ihm noch, weil er mich nach seiner letzten Premiere am Schauspielhaus an den Tisch gewinkt hatte, wo die Pariser Diva Emmanuelle Seigner beim Robespierre, dessen dünn geschnittene Scheiben passend an die Guillotine der Französischen Revolution erinnern, mit ihren wunderschönen Lippen sehnsüchtig seufzte: «Ach, gäbe es doch in Paris noch so stilsichere Brasserien wie «cette ‹Kchrohhnenallee›».

Oder die ersten badischen Spargeln des Jahres mit dem Hauch einer Hollandaise-Sauce mit Dieter Meier. Er zeigte mir – natürlich vergeblich! –, wie man elegant in die Spargeln sticht. Gerade so wie mit Stichelworten in den Mythos von Picasso, vor dem er ebenso wenig Respekt hat wie vor Chagall. Dieter Meier ist ein Spiegel des Lokals: internationaler Star und doch mit Bodenhaftung – und einem Sinn für seine alten Freunde, denen er bei allem Erfolg treu bleibt. Wie die «Kronenhalle» ihrem Erfolgsrezept. Sein Ziel ist es: ein Kind zu bleiben. Und so staune auch ich jedes Mal, wenn ich in die «Kronenhalle» komme, wie ein Kind über die Schönheit der Halle, den Klang der Gabeln und Gläser, den Hall der Stimmen und die Klangfarben der Blumen und Bilder. Ein bisschen stelle ich mir das Paradies so vor. Mit Engelsflügeln und Schoggimousse.

Die Schweizer Illustrierte hat eine neue Podcast-Folge – hier reinhören!

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