Nochmals zurück ins Leben

Der bekannte Schweizer Literaturkritiker Charles Linsmayer rezensiert für 20 Minuten regelmässig Neuerscheinungen und Klassiker.

In seiner Literaturkolumne rezensiert Charles Linsmayer für 20 Minuten Neuerscheinungen und Klassiker. Dieses Mal: «Zufall. Erzählungen» von Georges Wieland.

Paul ist von Revik, dem Kossovaren, ins Spital geleitet worden und wartet, bis er drankommt. Doch plötzlich erfasst der 81jährige einen Entschluss: er würde abhauen! Weg aus dem verhassten «Alterskasten», weg von der Pflegerin mit dem tadelnden Blick, zurück ins Leben. Am Kiosk kauft er Zigaretten, dann geht’s zum Haus an der Färbergasse, wo er mit Margrit gewohnt hat, dann in die Acapulco-Bar, wo er Stammgast war. Wie damals bestellt er einen Whisky und noch einen, bis er vom Hocker fällt und Revik ihn abholt.

Georges Wieland: «Zufall. Erzählungen». IL-Verlag, Basel 2023. 22 S., Fr. 19.60 bei Nalda.ch

«Pauls letzter Tag» ist der erschütternde Text betitelt, findet man den Ausreisser doch anderntags tot im Bett des Altersheims. Georges Wieland heisst sein Autor, und der 87jährige Basler füllt eine Lücke, die angesichts der Buchläden voller Geschichten über junge Liebe und neumodische Beziehungskisten unbedingt gefüllt werden muss: mit Geschichten über die Lebenswirklichkeit und die Emotionen jener Alterskategorie, die den Grossteil des Lesepublikums ausmacht. Nicht nur traurig realistische wie die erwähnte, sondern auch romantisierende, älteren Menschen nahegehende wie die Titelgeschichte von Wielands Erzählband «Zufall». Da erzählt er von Anna und ihrem «bedenkenlosen Zusammensein» mit dem Filou René. Gönnt er Lea ein verschämtes Stelldichein mit dem Stiefbruder Jean-Jean, lässt er letzteren seine Avancen in Verse bannen und Lea schliesslich mit dessen Halbbruder Henri glücklich werden, bevor sich alle wie einst Joyce und Maugham im Zürcher Odeon zusammenfinden.