Bei Wolodimir Selenskis Auftritt an der Sicherheitskonferenz ist die Solidarität gross – und die Not des Präsidenten ebenfalls. Doch der Ukrainer hält der Weltöffentlichkeit auch den Spiegel vor.
Wütend – und sichtbar müde: Wolodimir Selenski an der Münchner Sicherheitskonferenz.
Ein sichtbar müder Wolodimir Selenski betritt am Samstagmorgen die Bühne in München, in dunklem Pullover und militärgrüner Hose, eine bei ihm seit knapp zwei Jahren übliche Uniform. Ein Präsident im Krieg macht keine Pause, signalisiert er und sagt analog dazu kurz darauf in seiner Rede: «Diktatoren machen ja auch keine Ferien.»
Verzweifelter denn je ist der ukrainische Präsident an diesem Wochenende in Europa auf Suche nach Unterstützung für sein Land. In Berlin, dann in Paris unterzeichnete Selenski am Freitag Sicherheitsabkommen, die langfristige Hilfen für die Ukraine sicherstellen sollen. Auf dringend nötige Waffen und Munition wartet die Ukraine aber weiter. Selenskis Land steht am Rande zum dritten Kriegsjahr, und just an diesem Morgen verbreitete sich die Nachricht, dass die ukrainische Armee die erbittert umkämpfte Stadt Awdijiwka im Osten des Landes aufgeben werde.
Die moralische Unterstützung für Selenski und sein Land ist gross auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die in einem Luxushotel im Stadtzentrum und in vielen Seitengebäuden und Räumen stattfindet. Schon allein, weil russische Offizielle wie schon im Vorjahr ausgeladen sind. In Gesprächen mit ukrainischen Medienschaffenden, Politikern und Politikberatern ist aber zugleich zu hören, wie frustriert alle sind – ob der vielen Durchhalteparolen und «As long as it takes»-Versprechungen. Denn wo bleiben sie, die konkreten Waffenlieferungen, fragen viele. Auch für die so wichtige Luftabwehr.
Scholz drückt sich um Antwort, Selenski um Konfrontation
Kurz vor Selenskis Auftritt hatte sich der deutsche Kanzler Olaf Scholz einmal mehr um eine Antwort auf die Frage, wann Deutschland Taurus liefere, herumgedrückt. Offiziell heisst es, dass man Russland keine Vorlage zur Eskalation geben wolle, schliesslich haben die Marschflugkörper eine deutlich grössere Reichweite als andere Waffensysteme und könnten auf russischem Gebiet landen. Man tue alles, was gehe, weicht Scholz aus. Die US-Journalistin, die ihn danach gefragt hatte, quittiert seine Antwort knapp mit: «Politiker».
«Bitte fragt nicht die Ukraine, wann der Krieg endet»: Wolodimir Selenski.
Selenski vermeidet die Konfrontation, verhehlt seine Kritik aber nicht, dass man warte und warte. Ohne die internationale Hilfe könne es die Ukraine nicht schaffen, sagt er und meint damit Europa, die USA, eigentlich die ganze Welt (Nordkorea und den Iran hatte er zuvor als neue Freunde Putins ausgemacht und so ausgeklammert). Er warnt davor, dass die internationale Ordnung bedroht sei, und hält den europäischen Regierungen den Spiegel vor: Sie würden die Menschen nicht darauf vorbereiten, dass der regionale Krieg viel grösser werden und sie direkt betreffen könnte. Polen und das Baltikum, erinnert er, seien vor Putin beileibe nicht sicher. Er fragt: «Seid ihr gut genug, auch psychologisch, vorbereitet?
Selenski ging allerdings in die Defensive, als er auf im Saal anwesende Vertreter der Republikaner angesprochen wird. Für die Blockade von US-Hilfen kritisiert er diese lieber nicht, sondern verweist auf später anstehende Gespräche mit Kongresspolitikern. Donald Trump lädt er einmal mehr ein, endlich in die Ukraine zu reisen. «Wenn er kommt, bin ich bereit, mit ihm an die Front zu gehen.»
Aufhorchen beim Thema Schweizer Friedensgipfel
«Putin kann verlieren», sagt Selenski; es sei «absurd», ihn noch als legitimen Leader zu behandeln. Das zeige sich auch daran, dass er Kritiker töten lasse, so wie den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Die Nachricht zum Tod Nawalnys hatten russische staatliche Nachrichtenagenturen am Freitag, gut eine Stunde vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz, verbreitet. Ein klarer Hinweis, dass Russland mitmischen wollte in der Weltaufmerksamkeit. Den Tod Nawalnys griffen anschliessend nahezu alle Rednerinnen und Redner in München auf, auch, weil dessen Frau einen emotionalen Auftritt hatte. Ohne, dass sich Putin selbst geäussert hatte, hatte er es wieder einmal in die Köpfe der Menschen geschafft.
«Putin muss gestoppt werden», sagt Selenski dann treffend am Samstag; ungehindert manipuliere der Kremlchef Menschen in aller Welt. Die Aussage auch als Anspielung auf Scholz verstanden werden, der von seiner Sorge, Putin zu einer Eskalation zu provozieren, nicht abrückt. Selenski fordert seit langem von Deutschland, eine Führungsrolle in Europa in Sachen Ukraine-Hilfe zu übernehmen, Scholz zögert.
Viel Hoffnung legt Selenski nach eigener Aussage auf die Schweiz: Dort sollen zu gegebener Zeit Friedensverhandlungen stattfinden. Ein Thema, das in der Ukraine sehr genau beobachtet und viel diskutiert wird, auch in München wird es immer wieder thematisiert. Wann, wie? Das ist völlig offen. Bundesrätin Viola Amherd hatte ihre Teilnahme an der Konferenz kurzfristig abgesagt. Die Verteidigungsministerin muss derzeit angesichts der heftigen Kritik am Zustand der Armee in der Heimat die Wogen glätten.
Unterdessen macht Selenski in München Putin zur zentralen Figur seiner Rede. Er zeichnet zwei Szenarien für dessen Zukunft. Entweder, sagt Selenski, ende dessen sogenannte Karriere vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. «Oder er wird von einem seiner Komplizen, die gerade in seinem Auftrag töten, selbst getötet.» Selenski ist an diesem Samstag auch ein wütender Präsident.
Awdijiwka ist gefallen, die russische Propaganda frohlockt
Dass kurz vor Selenskis Rede vor der Weltöffentlichkeit die Nachricht die Runde macht, dass sich die ukrainischen Streitkräfte aus Awdijiwka zurückziehen, ist wohl kein Zufall. Es soll verdeutlichen, in welcher Bedrängnis die Ukraine ist. Strategisch bedeutsam ist die Stadt zwar nicht, die Ukraine hatte dennoch lange an ihr festgehalten: Putin könnte Awdijiwka nun, einen Monat vor der Schein-Präsidentschaftswahl, als Erfolg verkaufen. Die russische Propaganda frohlockt.
Selenski formuliert eine Bitte zum Schluss, eigentlich sind es zwei. Zu den aus der Ukraine Geflüchteten sagt er: «Ich hoffe, dass sie zurückkommen. Wir werden alles dafür tun.» Dann wendet er sich an den Saal: «Bitte fragt nicht die Ukraine, wann der Krieg endet. Fragt euch selbst: Warum kann Putin immer noch weitermachen?»
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